Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Dritter Band. (3)

Napoleon proponirt einen Congreß aller Souveräne. 145 
mit der ihn Englands und Osterreichs Verhalten erfüllt hatte 
— ihn zuerst zum Abbruch seiner hoffnungsvollen Beziehungen 
zu Rußland zu verleiten, und dann, als nationale Ehre ein 
kriegsmuthiges Einschreiten erforderte, ihn schmählich auf den 
Sand zu setzen. Der Vorschlag des Congresses bedeutete 
also eine Deckung der erlittenen diplomatischen Niederlage 
auf Kosten der treulosen Genossen, vor Allem Österreichs. 
So wiederholte sich der nach dem Krimkrieg erlebte 
Vorgang: Napoleon schickte sich an, von den bisherigen Ver- 
bündeten hinweg auf die Seite der Gegner überzugehen; wie 
damals an die Stelle der orientalischen, trat jetzt an die Stelle 
der polnischen in seinem Sinne nochmals die italienische Frage. 
Die natürliche Folge dieser plötzlichen Evolution der 
französischen Politik war ein allgemeiner Umschwung in den 
gegenseitigen Beziehungen der großen Mächte. Bisher hatten 
England und Österreich auf Frankreichs Seite gegenüber 
Rußland und Preußen gestanden. Jetzt wurde in Wien und 
London mit Eifer die Losung ausgegeben, daß für die Ruhe 
der Welt nichts nöthiger sei als ein festes Einverständniß, 
wenn nicht geradezu eine Quadrupelallianz, der vier Groß- 
mächte gegen den unruhigen Pariser Friedensstörer. In 
Rußland, wo die frische Entrüstung gegen Napoleon's pol- 
nisches Treiben noch fortdauerte, fand diese Aufforderung ent- 
schiedenen Anklang. Nicht ganz so rückhaltlos jedoch schloß 
sich Preußen an. In Berlin bestand freilich von jeher, bei 
König Wilhelm vielleicht in noch höherem Grade als bei 
seinem Minister, ein tiefes Mißtrauen gegen die Entwürfe und 
die Zuverlässigkeit des französischen Kaisers. Unverkennbar 
aber war, daß die neue Wendung Napoleon's in einer für 
Preußen zunächst günstigen Richtung ging. Über * Congreß- 
v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. III.
	        
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