Preußische Einladung zur Gründung des norddeutschen Bundes. 351
Auch in diesem Schriftstücke sprach sich der Charakter
der damaligen preußischen Politik, Festigkeit und Mäßigung,
einer Politik begrenzter, aber dauerhafter Ergebnisse, unver-
kennbar aus. Nichts war deutlicher, als daß in diesem
Angenblicke Preußen die Macht besaß, den sämmtlichen Klein-
staaten seinen unbeschränkten Herrscherwillen aufzuerlegen.
Aber dem Könige wie seinem Minister lagen solche Gedanken
fern. Nicht eine Sylbe wurde nach den großen Siegen an
den vor dem Kriege gemachten Anerbietungen und Verheißungen
geändert. Es stand schon jetzt also fest, daß man als Fac-
toren der Gesetzgebung einen Bundestag und neben demselben
ein Parlament aus allgemeinen und geheimen Volkswahlen
haben würde. Die Wirksamkeit derselben würde sich auf
Heerwesen, Marine, Diplomatie, Handels-, Zoll= und Ver-
kehrsangelegenheiten erstrecken, innere Verwaltung aber, Justiz,
Kirche und Schule den Einzelstaaten überlassen bleiben.
Was die Executivgewalt im neuen Bunde betraf, so enthielt
weder das Circular vom 10. Juni, noch das vom 4. August
darüber eine nähere Bestimmung, daraus ergab sich von selbst,
daß sie ungeändert in der Hand des Bundestags, d. h. der
Gesammtheit sämmtlicher Regierungen, liegen sollte, wie sich
versteht, unter der Leitung des Königs von Preußen, der
schon als stehender Bundesfeldherr eine früher im Bunde
nicht vorhandene Stellung einnehmen, und in der künftigen
Verfassung als Bundespräsident wohl auch im Vergleiche mit
dem frühern Zustand mehrfach verstärkte Rechte erhalten
würde. Immer aber würde der wahre Träger der Souveränität
im Reiche nicht der Bundespräsident, sondern wie bisher der
Bundestag sein. Es war der entscheidende Punkt dieser neuen
Vorschläge im Gegensatz zu den Beschlüssen der Panlskirche.