Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Fünfter Band. (5)

354 Erlöschen des preuhischen Verfassungsstreits. 
berühmten weißen Saale des königlichen Schlosses anberaumt, 
und man ermißt leicht, mit welch' grenzenloser Spannung 
das Auftreten des Königs erwartet wurde. Daß der alte 
Streit über die Heerverfassung auf den böhmischen Schlacht- 
feldern beendigt worden war, sagte sich ein Jeder; wer dieser 
Schöpfung König Wilhelm's jetzt noch den innern Werth 
hätte bestreiten wollen, würde unsterblicher Lächerlichkeit ver- 
fallen sein. Aber wer wußte, wie der König diesen Triumph 
weiter ausbeuten würde? Die Männer der Kreuzzeitung 
drohten, und die Fortschrittspartei sorgte, jetzt würde das 
budgetlose Regiment für das allein richtige System erklärt, 
und jeder weitere Widerspruch durch eine allmächtig gewordene 
Dictatur nieder geworfen werden. Das ganze Dasein der 
Verfassung schien in Frage zu stehen. So drängte am 5. 
zum Schlosse, wer irgend einen Titel hatte, Eingang zu ge- 
winnen. Alle Logen und Gallerien des Saales waren über- 
füllt, unten waren die Mitglieder der beiden Häuser in 
seltener Anzahl versammelt. Bald nach zwölf Uhr erschien 
der königliche Zug; bei dem Erscheinen des Monarchen machte 
sich die Erregung der Gefühle in einem brausenden Hochruf 
Lust. Darauf nahm der König, rechts den Thronerben, 
links die Minister neben sich, vor dem Thronsessel Stellung, 
und begann mit kräftiger Stimme, unter athemloser Stille 
der Hörer, die Thronrede zu verlesen. Der erste Satz sprach 
einen Dank für Gottes gnädige Führung aus, und knüpfte 
an die Betonung der heldenmüthigen Leistungen und schweren 
Opfer der bewaffneten Nation die Mahnung, durch ein- 
müthiges Zusammenwirken der Regierung und der Volks- 
vertretung die Früchte der blutigen Saat zur Reife zu bringen. 
Die Finanzlage sei glänzend, fuhr der König fort, es sei
	        
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