Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Fünfter Band. (5)

436 Innere Entwicllung. 
Das Wahlgesetz für das norddeutsche Parlament, welches 
die Regierung bereits am 13. August dem Hause der Abge- 
ordneten eingesandt hatte, gelangte dort erst nach einer vier- 
wöchentlichen Arbeit der damit betrauten Commission, am 
11. und 12. September, zur Plenarberathung. Hier zeigte 
sich nun, im Vergleiche mit dem Annexionsgesetz, ein ent- 
schieden geringeres Entgegenkommen. Bei diesem hatten Er- 
wägungen vom Standpunkte der politischen Parteien nur in 
untergeordneter Weise eingewirkt; deutsch = nationale und 
preußische Gefühle waren vereint für die Vorlage in das 
Gewicht gefallen. Hinsichtlich des norddeutschen Parlamentes 
aber erhoben sich starke politische Bedenken, und wie in 
Mecklenburg ein feudales, setzte sich hier ein liberales Sonder- 
thum den Einheitsbestrebungen Bismarck's entgegen. 
Durch die Annexionen, wurde gesagt, habe sich Preußen 
auf 24 Millionen Einwohner vergrößert, während die noch 
erhaltenen Kleinstaaten des künftigen Bundes zusammen nur 
fünf Millionen zählten. Wie könne da von einer, den 
Namen verdienenden Bundesverfassung die Rede sein? In 
Wahrheit sei der König von Preußen der Herr in den ver- 
bündeten Staaten wie in den annectirten und in den alten 
preußischen Provinzen. Ein Parlament für diesen preußi- 
schen Bundesstaat neben dem preußischen Landtag sei eine 
Einrichtung ohne Daseinsgrund. Warum nicht die Abge- 
ordneten dieser Kleinstaaten bei gemeinsamen Angelegenheiten 
in den preußischen Landtag eintreten lassen? Das wäre 
ein naturgemäßes und folgerichtiges Verfahren gewesen. 
Aber die Zersplitterung der parlamentarischen Rechte unter 
zwei gesonderte Körperschaften könne nur die Folge haben, 
daß jedes derselben geschwächt, und damit die Bedeutung der
	        
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