Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Einundzwanzigster Jahrgang. 1905. (46)

          Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 8. 9./14.) 39 
Arbeitslosen vermehren. Abg. Schickert (kons.) hält den Zehnstundentag 
für erwünscht, hat aber Bedenken wegen der wirtschaftlichen Folgen. Für 
Frauen sei er notwendig. Abg. Erzberger (Z.) wünscht den Zehnstunden- 
tag für die Industrie, für die Landwirtschaft sei er unmöglich. 
              8. Februar. (Berlin.) Der deutsche Landwirtschaftsrat 
spricht sich einstimmig für die Handelsverträge aus. 
             9. Februar. (Württemberg.) Der Landtag wird ver- 
tagt, nachdem die Reform der Gemeindeordnung und die Grenz- 
berichtigung mit Bayern (1904 S. 175) genehmigt ist. 
             9. Februar. (Berlin.) Maler Adolf von Menzel . Ge- 
boren 8. Dezember 1815 in Breslau. Seine Hauptwerke behandeln 
Friedrich den Großen und seine Zeit. 
             9./14. Februar. (Reichstag.) Erste Beratung der Handels- 
verträge. Verweisung an die Kommission. — Industrie und Land- 
wirtschaft, große und kleine Landwirte, Nord- und Süddeutschland. 
             Abg. Herold (Z.): Nicht alle Wünsche, die man den Handels- 
verträgen entgegenbrachte, seien erfüllt. So seien die Ausfuhrtarife Ruß- 
lands nach den Hafenorten Danzig, Königsberg und Memel bedauerlicher- 
weise aufrecht erhalten worden. Bedenklich sei, daß die russische Regierung 
auf die Gestaltung der deutschen Eisenbahntarife dadurch einen direkten 
Einfluß auszuüben imstande ist. Die Herabsetzung des Zolles auf Futter- 
gerste bis auf 1,30 Mark sei für viele Gegenden schädlich. Die Herab- 
segung der Holzzölle habe bitter enttäuscht. Bei der Industrie sei dagegen 
eine Verbesserung des bisherigen Zustandes erreicht worden. Abg. Bern- 
stein (Soz.): Die Erhöhung der Getreidezölle verschlechtere die wirtschaft- 
liche Konjunktur und drücke damit die Lohnverhältnisse. Die Arbeiter 
würden also doppelt belastet. Staatssekretär Graf Posadowsky: Es ist 
behauptet worden, als ob durch die neuen Verträge eine Umwälzung 
unserer gesamten Beziehungen mit dem Auslande eintritt. Aus den sieben 
Vertragsstaaten beziehen wir Waren im Werte von jährlich etwas über 
2 Milliarden. Von dieser Einfuhr sind durch die Verträge im Zoll erhöht 
37 Prozent, ermäßigt 10½ Prozent; bei 52 Prozent ist der bisherige 
Zustand aufrecht erhalten worden. Bei den Zollerhöhungen für die land- 
wirtschaftlichen Artikel im Werte von fast 1500 Millionen sind 750 Mil- 
lionen, also rund die Hälfte, im Zoll erhöht worden. Für 831 Millionen 
führen wir aus; davon sind 47 Prozent vollkommen unverändert geblieben, 
7 Prozent haben eine Ermäßigung erfahren und 46 Prozent sind nur im 
Zoll erhöht worden. (Rufe links: Nur?) Ich komme darauf zurück bei 
den Waren, die wir ausgeführt haben und die autonom geblieben sind, 
also gar nicht Gegenstand von Vertragsverhandlungen waren. Es handelt 
sich um einen Wert von 781 Millionen; davon sind 33 Prozent durch den 
autonomen Tarif mit anderen Staaten erhöht, 8 Prozent ermäßigt und 
59 Prozent mit den Zollsätzen unverändert geblieben. Aber diese Zahlen 
geben auch noch kein ganz zutreffendes Bild von der Sache, denn es sind 
eine ganze Anzahl von Roh- und Halbfabrikaten, die entweder im Zolle 
gar nicht erhöht sind oder nur ganz minimal, von der gesamten Ausfuhr 
abzuziehen. Das wären 353 Millionen. Aus diesen Zahlen geht hervor, 
daß eine vollkommene Umwälzung unserer ganzen Produktion durch die 
Verträge an und für sich nicht eintreten kann. Abg. Kämpf (fr. Vp.)
	        
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