454 Innere Entwicklung.
spruchvolle, wortreiche und thatenarme Politik Friedrich
Wilhelm's IV. jeden Glauben an Preußens Macht und
Willenskraft untergraben hatte: gewaltig hatte Preußen sich
bei der Welt in Respect gesetzt, und sich, wenn auch noch
nicht die Bruderliebe, wohl aber die Achtung der süddeutschen
Brüder erobert, und im Verkehre der Völker wie der Men-
schen ist die Achtung die erste Bedingung der Liebe. Wohl
standen auch jetzt noch einzelne Gruppen murrend und grollend
bei Seite. Bayerns katholischer Klerus und Landadel, seit
lange von der Neigung zu Osterreich erfüllt, sah mit Zorn
und Kummer die großdeutschen Träume in Rauch aufgehen.
Die republikanische Partei fand durch Preußens Siege alle
ihre Hoffnungen gekrickt, stieß jeden Gedanken einer Ver-
bindung mit dem Norden zurück, und scheute selbst den Aus-
spruch nicht, daß die Pflicht der Selbsterhaltung die süd-
deutschen Staaten unter Umständen zum Bund mit dem
Ausland gegen Preußen veranlassen könnte. Aber die große
Strömung der Gemüther ging unwiderstehlich gegen sie. Mit
einem Schlage war jetzt die Einsicht gewonnen, daß der Aus-
tritt Osterreichs aus dem alten Bunde kein Verlust, sondern
eine Stärkung der deutschen Einheit sei. Vor Allem gelte
es, die Vereinigung des Südens mit dem norddeutschen Bunde
zu erlangen. Könne Preußen wirklich zur Zeit den Eintritt
nicht gewähren, so heiße es, im Süden jede Vorkehrung zu
treffen, um im ersten günstigen Augenblick bereit zu sein.
Und vollends, als man immer zweifelloser erkannte, daß die
Scheidung durch die Mainlinie das Werk der von Wien an-
gerufenen französischen Vermittlung gewesen, verdoppelte sich
im Süden der nationale Andrang gegen die von den Fremden
aufgerichtete Schranke.