1867 Debatte über das allgemeine Wahlrecht. 91
Reichstagsverhandlungen und das Recht des Reichstags, Bitt-
schriften zu empfangen und der Regierung zu überweisen.
Desto lebhafter aber entwickelte sich die Verhandlung über
das allgemeine Wahlrecht und die Wählbarkeit der Staats-
beamten. Zu der Bestimmung des allgemeinen, gleichen und
directen Wahlrechts des Entwurfs begehrte Fries noch die
geheime Abstimmung hinzu, weil bei unsern socialen Zustän-
den für die Mehrheit der Wähler nur das Geheimniß die
Freiheit der Abstimmung sichere — worauf ihm bald nachher
Windthorst die bündige Antwort gab, wenn unsere Zustände
wirklich dieser Art seien, so folge daraus nicht die geheime
Abstimmung, sondern die Verwerfung des allgemeinen Wahl-
rechts. Brünneck beantragte statt dessen das Haushalt-Wahl-
recht (Bedingung des Wahlrechts ist Führung eines eignen
Haushalts). Zachariä wollte neben dem Reichstag ein Ober-
haus einrichten. Was das allgemeine gleiche Wahlrecht betraf,
so zeigte sich die eigenthümliche Erscheinung, daß die Mehr-
zahl der Redner es für sehr bedenklich, ja gefährlich, in seinen
Folgen unberechenbar erklärten; bei den posener Wahlen
hatten sie die blinde Abhängigkeit der katholischen Proletarier
von ihrem Klerus gesehn; seit Lassalle's Auftreten hatte sich
die socialistische Agitation gegen Capital und Eigenthum
energisch angemeldet: genug, es war ihnen durchaus keine
Freude, die bittere Pille zu schlucken. Aber sie schluckten.
Bei vielen Conservativen wirkte der fest ausgesprochene Wille
Bismarck's neben dem Wunsche, möglichst schnell zum Ab-
schluß der Verfassung zu gelangen, bei vielen Liberalen das
Vorurtheil, man habe die politischen Rechte der Menschen
nicht nach deren Fähigkeit, Gemeinsinn und Leistung abzu-
stufen, sondern man sei um so liberaler, je mehr man gleiches