Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

4 Vorbereitung des Reichstags. 1866 
seine diplomatische Thätigkeit auf die Sicherung des zu be- 
bauenden Bodens; von weitausgreifendem Fortschritt war 
zur Zeit keine Rede; Preußens auswärtige Politik hatte damals 
keinen andern Inhalt als eine beobachtende, fest bewehrte 
Denfensive. 
Allerdings war die europäische Lage danach angethan, 
Preußen zu planmäßiger Vorsicht und entschlossener Festigkeit 
zu mahnen. Wenn man die Stimmungen und Strebungen 
der übrigen Großmächte überblickte, so erschienen ebenso viele 
bedrohliche wie erfreuliche Symptome. Österreich, durch seine 
innern Wirren noch mehr als durch die Folgen seiner Nieder- 
lage geschwächt, war für mehr als Ein Jahr ungefährlich, 
es verstand sich aber von selbst, daß einstweilen auf eine 
freundliche Gesinnung der Hofburg nicht zu rechnen war, 
zumal seit Kaiser Franz Joseph die Leitung seiner Regierung 
dem alten Gegner Preußens, dem Herrn von Beust, über- 
tragen hatte. Anders zeigte sich das Verhältniß zwischen 
Berlin und Petersburg. Wir sahn, wie unangenehm dem 
Kaiser Alexander der Sturz der drei deutschen Dynastien 
gewesen; es lag auf der Hand, daß die energische Zusammen- 
fassung Deutschlands der russischen Politik nicht bequem 
erscheinen konnte: trotzdem aber überwog doch die traditionelle 
Freundschaft der beiden Monarchen noch immer diese Schwierig- 
keiten um so mehr, als das nächste Ziel der russischen Diplo- 
matie, die Zerreißung der Friedensclauseln von 1856, in 
Paris, Wien und London heftigeren Widerspruch als bei 
Preußen finden mußte. Man hatte hier also gute Freund- 
schaft, ob aber eintretenden Falls auch wirksame Unterstützung, 
wer konnte es wissen? Völlig frei von einer solchen Un- 
gewißheit war das Verhältniß zu England. Dort hatte nach
	        
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