Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

6 Vorbereitung des Reichstags. 1866 
Offenbar hing Preußens demnächstige Stellung in Europa 
von der Frage ab, ob mit Napoleon ein Einvernehmen zu 
erreichen, auf welche Weise also die im August von ihm 
begonnene Verhandlung zu gutem Ausgang zu führen sei. 
Man wußte sehr wohl, wie in Paris die verschiedenen 
Parteien um den Einfluß auf den unentschlossenen Kaiser 
stritten, wie freilich die Rüstung der Armee noch im Rückstand, 
andrerseits aber das nationale Selbstgefühl durch Preußens 
Erfolge in hohem Maaße verletzt war. Niemand konnte die 
Bürgschaft gegen einen plötzlichen Ausbruch übernehmen. Zu 
brennend peinigte dort die Vorstellung, daß Frankreich nicht 
mehr allein nach eignem Ermessen die Geschicke Europas lenke, 
sondern einen ebenbürtigen Nachbar an seiner Grenze zu 
ertragen habe. So kochte der Verdruß in vielen tausend 
Herzen schon jetzt gegenüber dem durch den Main begrenzten 
Nordbund. Was würde erst geschehn, wenn der Drang der 
deutschen Nation zu vollständiger Einheit durch alle Schranken 
hindurchrisse, und Nord und Süd sich zu einem geschlossenen 
Reiche vereinigten? 
Indessen lag damals, im Spätherbst 1866, der Eintritt 
solcher Ereignisse noch in unbestimmbarer Ferne. Wir haben 
uns die Kammerverhandlungen der vier Südstaaten über die 
Friedensverträge und die dabei erscheinende Haltung ihrer 
Regierungen vergegenwärtigt. Wenn damals unter dem 
frischen Eindruck der preußischen Triumphe der nationale 
Gedanke überwog, so drängten sich mit dem Wiederbeginn 
der Friedenszeit und der alten Lebensgewohnheiten auch die 
alten Stimmungen, die Neigung zur particularen Eigenart 
und die Abwendung von Preußen, wieder an das Tageslicht. 
Von Neuem klagten die bayerischen Ultramontanen über die
	        
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