322 Italienische und spanische Wirren. 1867
Unternehmen war freilich der stolze, feste, von conservativen
Grundsätzen geleitete Ricasoli nicht gemacht; am 4. April
erhielt er seine Entlassung, und am 11. wurde sein alter
Nebenbuhler Ratazzi mit der Bildung des neuen Ministeriums
beauftragt. Ein größerer Gegensatz zwischen zwei Naturen
war nicht denkbar, als hier zwischen dem abgehenden und
dem neu eintretenden Minister. Ricasoli ein vornehmer
Baron, ein stolzer, beinahe starrer Charakter, ein ernst und
tief religiöser Mann von durchgearbeiteter und deshalb selb-
ständiger Uberzeugung, über den man in Rom zweifelhaft
war, ob man ihn für einen Calvinisten oder einen Jansenisten
halten sollte, in der innern Politik von unerschütterlichen
conservativen Grundsätzen, dabei entflammt von dem Gedanken
der italienischen Einheit und deshalb bestrebt, die französische
Vormundschaft abzuschütteln, indem er während des Kriegs
fest zu Preußen hielt und nach demselben auf eigne Hand
Versöhnung mit dem Papste suchte. Ratazzi war als piemon-
tesischer Beamter emporgekommen, überall geschickt und befähigt,
ohne jeden Grundsatz, als den einen, den eignen Vortheil
zu wahren, ein Mann, von dem man sagte, er schwimme
lieber in trübem Wasser als in klarem, nach innerer Neigung
demokratischen Tendenzen zugewandt, bei dem Könige aber,
dem Ricasoli's Eigenwille oft lästig war, als stets gefälliger
und auskunftsreicher Wohlredner in großer Gunst, dabei
bisher als eifriger Anhänger Napoleon's bekannt, dessen
Vertrauen er durch dieselben Künste wie jenes Victor Emanuel's
gewonnen hatte !l). Die Nachricht von seiner Ernennung rief
dann auch in ganz Europa höchst bestimmte Gerüchte von
einer bevorstehenden französisch-italienischen Allianz hervor,
) Vgl. Reuchlin, Italien, Band IV. S. 348 ff. und sonst.