90 Versuch eines Dreibundes. 1869
Drohungen, bald mit Schmeicheleien bearbeitet. Wie viel
schöner, sagte man, würde Belgiens Stellung sein, wenn es
statt seiner einsamen Neutralität eine Anlehnung an Frank-
reich vollzöge, vermittelst eines Zollvereins oder einer Militär-
Convention. Frere blieb ruhig in seiner Haltung: Belgien
sei ganz zufrieden mit seiner Neutralität und verlange nichts
Besseres. Am 19. April machte er Rouher ein letztes An-
erbieten über Entschädigung der Ostbahn, Rouher aber ver-
harrte auf der alten Forderung, zuerst Anerkennung der
Kaufverträge, und fand darin Napoleon's Zustimmung.
Frere-Orban, meinten sie, würde schon mürbe werden. Allein
dieser gab allerdings die Hoffnung auf freundliche Verein-
barung auf, dachte deshalb aber nicht an Unterwerfung,
sondern schickte sich zur Rückreise an, um dann in Brüssel
furchtlos abzuwarten, ob und wie Frankreich zur Gewalt
schreiten würde.
Diese standhafte Unerschrockenheit trug ihre Frucht.
Napoleon und Rouher mußten erleben, daß sie nicht bloß
die belgische Regierung, sondern auch das französische Volk
falsch beurtheilt hatten. Sie hatten einen belgischen Zoll-
verein zur Befriedigung des französischen Selbstgefühls in das
Auge gefaßt: nun aber war der stärksten Partei der fran-
zösischen Industriellen schon der belgische Handelsvertrag zu
liberal und die daraus erwachsene belgische Concurrenz äußerst
widerwärtig; sie erstrebten nicht volle Verschmelzung, sondern
volle Abschließung gegen Belgien, gerade das formelle Gegen-
theil von Napoleon's Forderungen. Und als dann die Ver-
handlung mit Frere-Orban einen immer schärfern Charakter
annahm, und überall von kriegerischen Maaßnahmen gegen
die unhöflichen Belgier gesprochen wurde, da vereinten die