Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Siebenter Band. (7)

1869 Unwille der Kammer-Majorität. 103 
Beschlußfassung über das Budget nach dessen einzelnen 
Capiteln zu gewähren. Was aber die Minister betraf, so 
sollte nur der Artikel der Verfassung aufgehoben werden, 
der ihnen verbot, Mitglied einer Kammer zu sein. Von der 
Verantwortlichkeit war keine Rede. 
Natürlich ließ sich die Kammer die Erweiterung ihrer 
Rechte gerne gefallen, dennoch aber wogte der Unwille der 
Majorität über die Verweigerung der Hauptsache lebhaft auf. 
Bei einem Theile der Rechten wirkte dabei die Eifersucht 
gegen den bisherigen Vicekaiser, den Staatsminister Rouher, 
mit, die, wie man wußte, von mehr als einem der übrigen 
Minister durchaus getheilt wurde. Die Stimmung war so 
entschieden, daß der Präsident des Hauses, Schneider, ein 
großer Industrieller, sich zum Kaiser begab, um ihm zu 
erklären, daß es weiter so nicht gehe, die Kammer und das 
Land seien einmüthig in der Verwerfung des Staatsministers, 
an dessen Stelle ein verantwortlicher Ministerrath treten müsse. 
Der Kaiser rang mit seinen widerspruchvollen Wünschen in 
bitterer Unentschlossenheit. Rouher sagte ihm: geben Sie 
mir Vollmacht, so jage ich alle diese Querulanten zum Hause 
hinaus und stelle einfach die Verfassung von 1852 wieder 
her. Dies aber ging ganz und gar gegen Napoleon's Sinn. 
Es waren stets dieselben Fragen, die ihn bald von der einen, 
bald von der andern Seite her peinigten. Er lechzte nach 
der Befreiung von den Mühen, Sorgen und Schmerzen der 
höchsten Gewalt, und dann wieder empfand er eine Schmälerung 
derselben als eine persönliche Demüthigung. Würde ein 
parlamentarisches Ministerium stets den Willen und die Mittel 
haben, die Thronfolge seines Sohnes gegen die Republikaner 
aufrecht zu erhalten? Freilich war das unsicher in hohem
	        
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