Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Siebenter Band. (7)

106 Sieg der liberalen Tendenzen. 1869 
Abhängigkeit vom Parlamente schwach bestellt. Indessen wer 
sich an die Folgen erinnerte, welche die Einräumungen vom 
19. Januar in dem politischen Zustande gehabt hatten, mochte 
über die Unklarheit oder die Lücken der jetzigen Errungen- 
schaft hinwegsehn, in der Ansicht, daß trotzdem thatsächlich 
die Volksvertretung hinlängliche Macht haben würde, bei 
jeder wichtigen Frage ihren Willen durchzusetzen. 
Indessen ehe der Senat zum Beschlusse gelangte, trat 
ein Ereigniß ein, welches alle Gedanken ausschließlich spannend 
in Anspruch nahm: der Kaiser, der schon im vorigen Sommer 
wieder leidend gewesen und mehrere Wochen von den Ge- 
schäften entfernt in Fontainebleau gelebt hatte, erkrankte am 
11. August 1869 auf's Neue, und das Übel entwickelte sich 
bald so heftig, daß gegen Ende des Monats die ärzte eine 
rasche Auflösung zu fürchten begannen. Da ging ein ge- 
waltiger Schrecken durch das Land; die Socialisten und 
Anarchisten jubelten; die Börsen wurden durch eine furchtbare 
Panik erschüttert, die dunkle Ungewißheit der Zukunft belastete 
die Gemüther. Im Ministerium lagen die bedeutendsten Mit- 
glieder, Forcade vom Innern, Magne von den Finanzen, 
im Streit, der Kriegsminister Marschall Niel war am 14. August 
gestorben, und der wenig befähigte General Leboeuf an seine 
Stelle getreten. Inmitten einer Verfassungskrisis war das 
Land ohne Volksvertretung, ohne Oberhaupt und so gut wie 
ohne Regierung. 
Um so mehr beeilte sich der Senat mit dem Beschlusse 
über den ihm vorgelegten Entwurf. Die damit zunächst be- 
faßte Commission erstattete ihren Bericht mit einigen wenig 
bedeutenden Verbesserungsanträgen zu Gunsten der Rechte 
des Senats. Die Verhandlungen im Plenum dauerten vom
	        
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