1869 Besuch des preußischen Kronprinzen in Wien. 111
haltung Preußens, am 8. Juli ein Schreiben nach Dresden
erlassen1), und sich beschwert, daß eine andere Macht das
Urtheil der sächsischen Regierung über die Depesche vom 1. Mai
ungünstig zu beeinflussen gesucht habe. Es entspann sich
daraus eine diplomatische Correspondenz zwischen den drei
Cabinetten, worin der Natur der Sache nach Beust keine
Lorbeeren davontrug; es folgte ein längerer Zeitungskrieg
zwischen den officiösen Berliner und Wiener Blättern, bis
endlich Preußen, wo man trotz aller Reibungen stets an dem
Wunsche auf Herstellung der alten Freundschaft mit Osterreich
festhielt, durch einen unerwarteten Schritt der Zänkerei ein
Ende machte.
Damals lud der Khedive Ismael von Agypten die
europäischen Potentaten zu der feierlichen Einweihung des
eben eröffneten Kanals von Suez ein. Kaiser Franz Joseph
versprach zu kommen; Napoleon lehnte aus Rücksicht auf
seine Gesundheit ab, entsandte aber statt seiner die freudig
reisende Gemahlin. In Berlin erbat sich der Kronprinz die
königliche Erlaubniß zu der interessanten Fahrt, und hier.
kam der Gedanke zur Sprache, die Reise über Wien gehn zu
lassen und in der Hofburg anzufragen, ob ein officieller Be-
such des Kronprinzen bei dem kaiserlichen Hofe willkommen
sein würde. Die Bejahung kam umgehend, und am 7. October
traf der Kronprinz in Wien ein. Die Aufnahme konnte er-
wünschter nicht gedacht werden; der Kaiser, in preußischer
Uniform, empfing den Kronprinzen am Bahnhof; in der
Burg begrüßte ihn zu seiner Überraschung die Kaiserin, die
er noch in Ischl vermuthet hatte. Keine Ehrenbezeugung
1) Publicirt im österreichischen Rothbuch. Preußen war nicht
darin ausdrücklich genannt, aber unverkennbar bezeichnet.