Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Siebenter Band. (7)

1868 Verfluchung der österreichischen Verfassung. 145 
Liberalismus, und gab sich eine Verfassung, die nicht bloß 
mit seinem Concordat, sondern auch mit den Erklärungen 
des Syllabus in grellem Widerspruche stand. Denn sie 
gewährte allen Confessionen Religionsfreiheit und allen Staats- 
bürgern Preffreiheit; sie beseitigte durch specielle Gesetze den 
herrschenden Einfluß der Geistlichkeit auf dem Gebiete des 
Eherechts und des Unterrichts. Dieser Schlag durch die Hand 
eines säcularen Bundesfreundes versetzte den Papst in flam- 
mende Entrüstung. In einer neuen Allocution am 22. Juni 
1868 verurtheilte er die österreichische Verfassung und ihre 
Nebengesetze als ein Werk von unaussprechlicher Abscheulich- 
keit und Verruchtheit, erklärte, daß sie für jetzt und immerdar 
der Rechtskraft entbehrten, und wies die österreichischen 
Bischöfe an, Alles zu thun, um ihre Ausführung zu hindern. 
Wenn bereits das Rundschreiben von 1864 nebst dem 
Syllabns darthat, daß der Papst alle Ansprüche seiner mittel- 
alterlichen Vorgänger in seinem Innern wieder aufgenommen 
hatte, so war hier ein solcher Anspruch auf Oberhoheit über 
alle Staatsgewalten thatsächlich erhoben. Die Vorsichtigen 
unter seinen Anhängern crörterten, es sei das Alles nicht so 
schlimm gemeint; daß der Papst sich über ein Gesetz beschwere, 
welches den bisherigen Rechtszustand der Kirche einseitig 
ändere, sei doch nicht zu tadeln; die scharfen Ausdrücke seien 
nichts als die überlieferten römischen Kanzleiformeln. Nun 
wer solche Kanzleiformeln gebrauchen mag, tritt eben als 
Souverän und Oberherr auf, oder er ist eine lächerliche 
Figur, und für eine solche wird weder Freund noch Gegner 
Pius IX. halten wollen. 
Beiläufig, wie erscheint hier die unzählige Male wieder- 
holte Erklärung, die kirchliche Unabhängigkeit des Papstes 
v. Sybel, Begrndung d. deutschen Reiches. VII.
	        
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