1869 Hirtenbrief der deutschen Bischöfe. 149
zwischen uns und den Liberalen besteht ein socialer Kampf,
der Kampf, des Volkes gegen die Bourgeoisie und der die-
selbe vertretenden Beamten.
Der Mehrheit der deutschen Bischöfe war es bei diesem
Treiben übel zu Muthe. Sie wußten, was die pöähstliche
Unfehlbarkeit bedeute, und vermochten nach Wissen und Ge-
wissen nicht dafür zu stimmen. Aber seit Jahrzehnten hatten
sie im Kampfe gegen die Aufsichtsrechte des Staats sich dem
Papste zu Füßen gelegt, so daß eine oppositionelle Haltung
allen ihren Gefühlen widerstrebte. Wie sie sich in Rom auch
stellten mochten, hatten sie bei der Aufregung der Geister
kräftigen Tadel in der Heimath zu besorgen, verdrießlich,
wenn er von den Gelehrten, gefährlich, wenn er von den
Jesuiten kam. Sie beschlossen endlich, durch einen gemein-
samen Hirtenbrief etwas beruhigendes Ol über die wogenden
Gemüther auszugießen. Sie verkündeten ihnen, alle Gerüchte,
durch die man sie über den Verlauf des Concils in Sorgen
versetzt habe, seien grundlos. Das Concil werde kein neues
Dogma festsetzen, es werde in voller Freiheit berathen, es
werde nicht in Parteien zerfallen, sondern unter der Leitung
des hl. Geistes in gemeinsamer Liebe Beschlüsse fassen. Pro-
phetische Gabe seiner Verfasser hatte, wie sich bald auswies,
das Schreiben nicht dictirt; dies bezeugte ihnen die Civilta
cattolica schon im October durch die deutliche Erklärung,
daß die Bischöfe nicht nach Rom kämen, um dort nach dem
Willen der Mehrheit Beschlüsse zu fassen, sondern um die
im Voraus durch den unfehlbaren Papst getroffenen Bestim-
mungen gut zu heißen.