6 Beginn des Reichstags. 1868
neuen Heimathgesetzes beschäftigt, eine zweite mit der Her-
stellung einer neuen Civilproceßordnung, eine dritte mit der
Lieferung einer neuen Hypothekenorduung beauftragt. Ein
wahres Wettrennen der beiden Bundesgewalten um die Ge-
winnung legislativer Schöpfungen. Der hochconservative
mecklenburger Landrath und spätere Minister von Bassewitz
seufzte: wir machen zu viele Gesetze, wir arbeiten zu schnell,
man wird bald seine ganze Zeit zur Lectüre der Gesetze
verbrauchen müssen, und keine Zeit übrig behalten zu leben.
Aber dies Alles war doch nur die eine Seite der Lage,
So häufig die liberalen Elemente des Reichstags der Tendenz
der Bundesgesetze zur Pflege der Volkswohlfahrt Beifall
zollten, so wenig wollten sie deshalb auf das Streben nach
Erwesterung der parlamentarischen Macht über die Schranken
der Bundesverfassung hinaus verzichten. Für die äußerste
Linke verstand sich dies von selbst. aber auch bei den sonst
der Regierung befreundeten Nationalli ralen gewann die
zweite Hälfte des Parteinamens ein immer wachsendes Ge-
wicht. So wechselte im Reichstag das Wetter unaufhörlich,
bald freundliche Temperatur, bald heftige Stürme. Kaum
war der Reichstag constituirt, so erhob sich am 2. April als
Rufer im Streit der alte Waldeck mit dem Antroge, die
Zusicherung von Diäten an die Mitglieder des Reichstags
wieder herzustellen. Wir sind, sagte er, die Vertreter des
ganzen Volks, also muß auch das Volk ganz freie Wahl
ohne irgend eine Schranke haben, dann wird es immer den
richtigen Mann finden. Für ihn war das Volk ebenso un-
fehlbar wie für den Ultramontanen der Papst. Wir haben
das größte Interesse, bemerkte er weiter, möglichst liberal
zu verfahren, sonst werden wir den Süden nie gewinnen.