1870 Eröffnung des Reichstags. Thronrede. 181
Niemand wird aus dieser Thronrede einen dringenden
Wunsch auf den Eintritt der Süddeutschen in den Nordbund
herauslesen. Im Gegentheil, sie gibt, trotz der Angriffe der
klerikalen Preußenfeinde in Bayern auf den Minister, Fürsten
Hohenlohe 1), nur einer sichern Zufriedenheit mit der augen-
blicklichen Lage der deutschen Verhältnisse Ausdruck. Die
Verträge sind zuverlässig, die Interessen des gemeinsamen
Vaterlands sind verbürgt, keiner unserer Nachbarn denkt an
eine Einmischung in unsere innern Angelegenheiten oder läßt
eine Spur von kriegerischen Neigungen erkennen. Auch ein
Vorschlag des französischen Ministers Daru auf beiderseitige
Abrüstung hatte trotz Bismarck's ablehnender Haltung keine
Störung bewirkt. In Summa für den König Wilhelm lag
kein Anlaß vor, die bisher in Deutschland befolgte Politik
zu ändern, vielmehr jeder Antrieb, auf dem erprobten vor-
sichtigen Wege zu beharren.
Bei der Verhandlung des Abgeordneten-Hauses über
den Antrag Virchow hatte Lasker gegen diplomatische Ver-
handlungen über die Abrüstung gewarnt, zugleich aber her-
vorgehoben, daß Deutschland überhaupt bei seinen eignen
Angelegenheiten sich um das Ausland nicht zu kümmern
habe, wenn z. B. Baden den Eintritt in den norddeutschen
Bund begehre, müsse man es aufnehmen, möge das Ausland
es gerne oder ungerne sehn, eine tapfere Erklärung, die nur
etwas verwunderlich bei einem Abgeordneten war, der in
demselben Augenblick die Nothwendigkeit der Verkleinerung
unserer Armee behauptete.
Indessen blieb bei ihm die Sehnsucht nach Badens
Zulassung in den Bund. Er verhinderte eine Antwort-
1) Inder That erfolgte wenige Wochen später der Rücktritt des Fürsten.