Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Siebenter Band. (7)

1870 Gesetz über Unterstützungswohnsitz. Strafgesetzbuch. 185 
Hessens und Sachsens zu einem Compromiß und damit zur 
Annahme des Gesetzes gelangte. 
Von ganz anderem Gemwicht, wie sich versteht, waren 
dann die sich durch die ganze Session hindurchziehenden 
Verhandlungen über das Strafgesetzbuch, die sich bald auf 
der höchsten Höhe philosophischer oder theologischer Specu- 
lation über die rechtliche Strafbefugniß des Staats bewegten, 
bald gründliche Erwägung über das Strafmaaß von so viel 
Thalern Geldbuße oder so viel Tagen Gefängniß bei kleinen 
Vergehn pflogen. Das bisherige Recht galt namentlich in 
Preußen nach den Anschauungen des humanen Liberalismus 
für viel zu hart und streng; mit wachsender Ungeduld hatte 
man die jetzt begonnene Reform erwartet, und auch die 
Commission des Bundesraths hatte den Entwurf in solchen 
Stimmungen redigirt. Aber gleich zu Anfang der Special- 
debatte zeigte sich, daß die Anforderungen weiter gingen als 
der Entwurf: ein Antrag auf gänzliche Abschaffung der 
Todesstrafe rief eine lange, leidenschaftliche Debatte hervor, 
welche trotz eines energischen Widerspruchs Bismarck's mit 
der Annahme des Antrags endigte. So ging dies wetter. 
lberall wurden die Strafen herabgesetzt, die Freiheit des 
Richters, dabei seinem vernünftigen Ermessen zu folgen, er- 
weitert, vielfach mildernde Umstände zugelassen, bei allen 
politischen Vergehn, wo die That nicht ehrlose Motive dar- 
thut, die Zuchthausstrafe durch Gefängniß oder Festungshaft 
ersetzt, Ungehorsam gegen die Befehle der Obrigkeit nur dann 
bestraft, wenn dem Richter nachgewiesen wird, daß der Befehl 
innerhalb der gesetzlichen Competenz der Behörde ergangen 
war. Unter den wirksamsten Vertretern dieser Bestrebungen 
ragte, wie bei den später sich anschließenden Reformgesetzen
	        
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