198 Eindringen klerikaler Tendenzen in die franz. Regierung. 1870
bethätigen. Einiges geschah: einige hohe und äußerst mißliebige
Beamten wurden abgesetzt, dem alten Ledru-Rollin die Er-
laubniß zur Rückkehr in die Heimath gewährt, die Polizei
beauftragt, der Zeitungspresse etwas freiere Bewegung zu
verstatten. Aber in den Programmen sowohl des rechten
als des linken Centrums prangte die Verheißung einer langen
Reihe trefflicher Reformgesetze, einer neuen Gemeindeordnung,
einer allgemeinen Decentralisation der Verwaltung, der Auf-
hebung einiger besonders drückender Polizeigesetze, eines ver-
besserten Wahlgesetzes, wirthschaftliche Verbesserungen, Ent-
scheidung über Schutzzoll und Handelsfreiheit: das Alles war
äußerst einladend, leider aber war davon noch nichts aus-
gearbeitet, und auch über den Inhalt dieser künftigen Gesetze
wurde keine nähere Auskunft gegeben. So verging eine
Woche nach der andern in kleinen Scharmützeln, Interpella-
tionen, Anträgen. Die Linke hatte besonders zwei Punkte in
das Auge gefaßt, über die unglücklicher Weise die beiden
Programme der Centren nicht völlig übereinstimmten. Der
eine betraf die Verbesserung des Wahlverfahrens, und hieran
knüpfte die Linke die Forderung, daß die jetzige soeben in
Thätigkeit getretene Kammer, als gewählt unter ungebühr-
lichem Drucke des absoluten Regiments, wieder aufgelöst und
durch eine in Freiheit gewählte Versammlung ersetzt werden
sollte. Zu diesem Selbstmord war natürlich die Mehrheit
wenig geneigt, und das Ministerium blieb bei dem parlamen-
tarischen Grundsatz, daß man eine Kammer nicht auflöse, mit
deren Mehrheit man einverstanden sei. Das zweite Begehren
der Linken griff noch tiefer. Nach den Einrichtungen von
1852 wirkte der gesetzgebende Körper bei einem Gesetze,
welches eine Anderung der Verfassung verfügte, nicht mit;