Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Siebenter Band. (7)

1870 Verhandlung über die officiellen Candidaturen. 201 
fragte Granier von Cassagnac am 24. Februar, die gestrigen 
Reden verstehn? welcher der beiden Minister hat die Meinung 
des Cabinetts ausgesprochen? Ollivier ergriff auf der Stelle 
das Wort: „die beiden Reden, erklärte er, haben dieselbe 
Bedeutung, wie ich sie gestern schon angekündigt habe; die 
Regierung wird, wenn während ihrer Dauer Wahlen vor- 
kommen, keine officiellen Candidaturen aufstellen, sondern eine 
vollständige Neutralität beobachten.“ Es war unmöglich, 
eine radicalere Auffassung zu bekennen. Auf diesem Stand- 
punkte durfte die Regierung auch nicht verkünden, ob sie 
selbst Whig oder Tory sei; sie durfte vor den Wahlen nicht 
erklären, welche Vorlagen sie bei dem neuen Hause durch- 
zusetzen wünsche; sie mußte in neutraler Unthätigkeit abwarten, 
welche Gebote die gewählten Vertreter des souveränen Volks 
ihr auferlegen würden. Eine solche Praxis wäre selbst in 
einer demokratischen Republik thöricht, in einer constitutionellen 
Monarchie verstieße sie gegen das erste Grundgesetz der Ver- 
fassung. So erlebte denn auch Ollivier zum ersten und 
letzten Mal einen tobenden Beifall der Linken, während die 
größere Hälfte der Rechten gegen ihn stimmte, und zwei Tage 
später deren Mitglieder sich zu einem festen Club in aus- 
gesprochener Opposition gegen die Regierung zusammen- 
schlossen, unter der Führung des frühern Ministers des 
Innern, Forcade de la Roquette, neben diesem eines lebhaften 
Hofcavaliers Baron David, und eines ehemaligen Schülers 
und Jüngers Ollivier's, Clement Duvernois, eines jungen, sehr 
begabten und ebenso ehrgeizigen Strebers, der von Ollivier 
eine Stelle im Cabinett des 2. Januar erwartet hatte und, 
in dieser Hoffnung getäuscht, zu offener Bekämpfung des 
frühern Meisters übergegangen war.
	        
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