228 Eindringen klerikaler Tendenzen in die franz. Regierung. 1870
alle Pflichten und Schranken der Moral und der Ehre.
Die Pariser erzählten sich, im Jahre 1866 habe Bismarck,
über diese feindseligen Gefühle unterrichtet, die kurze Außerung
gethan: er ist der größte Dummkopf in Europa; dadurch
erbittert, habe Gramont dem Grafen Mensdorff versichert:
ich werde Euch rächen. Ubrigens konnte man in Paris auch
das Urtheil vernehmen, Gramont sei allerdings nicht in der
Gascogne geboren, wohl aber in ihrer allernächsten Nachbar-
schaft. Denn seine Phantasie war erregbar und schöpferisch
in hohem Grade; jeder Affect einer Leidenschaft verkörperte
sich bei ihm zu der Einbildung eines Erlebnisses, einer Ge-
schichte, von deren Wirklichkeit er bei der Schwäche seines.
Gedächtnisses und der Stumpfheit seines Urtheils hoch und
theuer überzeugt blieb, bis eine andere Erregung das alte
Phantasiegebilde zerriß und eine ganz andere gleich unbegrün-
dete Legende an ihre Stelle setzte. Hatte er nun einmal in
dieser Weise Stellung genommen, so machte kein Widerspruch
Eindruck auf ihn; der Arger darüber steigerte nur den Drang.
seines vorwärtsstrebenden Willens. Er war wie Ollivier in
gleichem Maaße, wenn auch in verschiedener Weise, unbelehrbar.
Bei Ollivier war es die Eitelkeit des Redners und des Ad-
vocaten, die ihn für die Gründe eines Andern wenig empfäng-
lich machte, während er mit virtuoser Dialectik sich selbst
von der Richtigkeit der bedenklichsten Anschauungen zu über-
zeugen verstand. Dagegen zeigte sich bei Gramont der ein-
fache, naive Hochmuth eines wenig gebildeten vornehmen
Herrn, der ungestört durch belästigende Kenntnisse über das
sonstige Volk höchst unbefangen hinwegsah. Als er sich herab-
ließ, das mühselige Amt eines verantwortlichen Ministers.
anzunehmen, erklärte er sich ganz einverstanden mit Ollivier's.