1870 Beust's Erwägungen. 383
Diese Mitheilungen konnten das österreichische Cabinet
nur mit den schwersten Sorgen erfüllen. Wir kennen sein
tiefes Friedensbedürfniß, seinen Wunsch, das bisherige Gleich-
gewicht zwischen Frankreich und Preußen fortdauern zu sehn,
in dieser Lage die Möglichkeit zu haben, Süddeutschland
immer vollständiger dem österreichischen Einfluß zu unter-
werfen. Was wurde aus dem Allem unter dem Sturme des
so plötzlich ausgebrochenen Kriegs? Siegte Napoleon, was
Beust für wahrscheinlich hielt, so würde er Süddeutschland
als Protector eines neuen Rheinbundes beherrschen. Leistete
ihm Preußen einen unvermuthet zähen Widerstand, so würde
er nach seiner persönlichen Gesinnung so schnell wie möglich
den Frieden, vielleicht auf Osterreichs Kosten suchen, d. h.
Preußen gegen Abtretung des linken Rheinufers Süddeutsch-
land überlassen. 1) Einem solchen Kampfe sich beizugesellen,
dadurch den Stärkern noch stärker zu machen, und dazu sich
selbst Rußlands Angriff auf den Hals zu ziehn, das zu ver-
meiden, war Beust vom ersten Augenblicke an entschlossen.
Aber auf der andern Seite, wenn man so entschieden auf
der Stelle die Erwartungen des mächtigen Imperators täuschte,
der die Kriegshülfe zwar nicht als vertragsmäßige Pflicht,
um so mehr als Ausdruck der alten Freundschaft für selbst-
verständlich hielt, konnte dann die Gefahr nicht noch größer
daß jedoch seine Wiederkehr erwartet wird. Dies stimmt ganz zu
Guiccioli's Angabe, daß Vimercati mit dem Bundesantrag am 15. Juli
Paris verlassen hat und am 20. in Florenz eingetroffen ist, er wäre
dann etwa am 17. oder 18. in Wien gewesen. Einen der einzelnen
Anträge für die proponirte Vermittlung erwähnt Beust in dem Briefe
vom 20., einen andern in den Memoiren II, 391. Den dritten ent-
nehme ich aus Guiccioli S. 258, allerdings mit der Vermuthung, daß
er in den Zusammenhang von S. 262 gehört.
1) Beust in den Memoiren II, 342 ff.