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und nach einander von dem Grafen Herbert Bismarck und
Herrn von Marschall bewohnt worden ist. In diesen
Tagen hat sie der neue Staatssekretär, Herr von Bülow
bezogen.
In die Mauer, welche die beiden Gärten (des Reichs—
kanzlerpalais und meiner Dienstwohnung) von einander
trennt, wurde eine Thür eingebrochen, so daß es mir jetzt
auch möglich war, von meiner Wohnung aus in wenigen
Minuten zum Fürsten zu gelangen.
Der Dienst in der Reichskanzlei begann spät am
Tage und endete spät. Damals (Schweninger war noch
nicht entdeckt) erhob sich der Fürst erst gegen Mittag.
Von 12 Uhr bis 6 wurde rastlos gearbeitet und dann
wieder von 9 Uhr bis tief in die Nacht. Vor 1 Uhr
verließ ich selten mein Bureau.
Es war nicht ganz leicht, dem Fürsten Vortrag zu
halten. Er verlangte bei jeder Sache einen suscitirenden
Extrakt, wie er es nannte, und behauptete, es gäbe keine
noch so verwickelte Angelegenheit, aus der nicht der Kern
mit wenigen Worten herausgeschält werden könne. Man
gewöhnte sich allmählich daran, im Lapidarstil zu sprechen,
und ich habe schließlich über Gesetzentwürfe von mehr als
hundert Paragraphen in 10 Minuten referirt. Die Vor-
bereitung auf einen solchen Vortrag hatte freilich dann
Stunden gekostet.
Sobald ein Vortrag beendet war, gab der Fürst, ohne
sich einen Moment zu besinnen, seinen Bescheid. Es war
erstaunlich, mit welcher Sicherheit er immer sofort die
Punkte herausfand, auf die es ankam. Ich werde nachher