schrak er. „Um Gottes willen, wie sehen Sie aus! Noch
heute Abend reisen Sie an die See oder in's Gebirge und
kommen Sie mir in acht Wochen nicht wieder vor die
Augen!“ Ich benutzte dankbarlichst den in dieser drastischen
Weise gewährten Urlaub und reiste in der That in der
Nacht noch nach Westerland-Sylt. Es war die höchste
Zeit, sonst wäre ich rettungslos zusammengebrochen. —
Um die Eigenart des Fürsten Bismarck auch Ferner-
stehenden verständlich zu machen, dürfte es erwünscht sein,
auf einzelne besonders charakteristische Seiten seines Wesens
noch einige Streiflichter fallen zu lassen.
Seiner Geisteskraft entsprach sein Selbstbewußtsein.
Er konnte sich Alles zutrauen, that es aber auch. Dagegen
wurde es ihm nicht leicht, ein fremdes Verdienst anzu-
erkennen. An den Leistungen seiner Minister-Kollegen
namentlich übte er eine Kritik, die nicht gerade den Charakter
nachsichtigen Wohlwollens an sich trug. Sein Selbst-
bewußtsein, gepaart mit einer starken Dosis Menschenver-
achtung, verleitete ihn überhaupt nicht selten, Freunde und
Feinde zu unterschätzen. Er sah in den Freunden dann
nur willenlose Werkzeuge seiner Pläne, Schachfiguren, die
er beliebig auf dem Brette seiner Politik hin= und her-
schieben und auch opfern konnte, wenn dies in's Spiel
paßte, in seinen Feinden nur Schurken und Dummköpfe.
Ich habe nie gefunden, daß er einem Gegner volle Ge-
rechtigkeit hat widerfahren lassen. Dazu war er zu leiden-
schaftlich, zu impetuos, zu kampflustig. In dieser, wie in
mancher anderen Beziehung glich er Luther. Jeder, auch
der kleinste Angriff reizte ihn zur Gegenwehr und er war