98 England und die deutsche Flotte
englischen Kabinett festgelegte Rede ablas, worin er Deutschland warnte,
es würde im Fall einer Herausforderung die britische Macht an Frank-
reichs Seite finden.
Ich hatte von der Entsendung des „Panther“ im Augenblick der
Abreise in die Sommerfrische außerdienstlich Kenntnis erlangt. War
es schon Anzeichen einer gewissen Desorganisation der Reichsleitung,
daß der Staatssekretär der Marine vor einer weltpolitisch so schwer-
wiegenden Schiffsbewegung nicht gehört wurde, so war ich mir ander-
seits der Fehlerhaftigkeit dieser Demonstration auf dem Atlantik von
demselben Augenblick an bewußt, in dem ich erfuhr, daß wir Eng-
land nicht vorher verständ"gt hätten. Glaubte Kiderlen, nicht ohne
eine militärische Geste auskommen zu können, so mußte diese zu
Land und ausschließlich gegen die Franzosen gerichtet erfolgen. Ich
wäre zwar grundsätzlich gegen eine solche Geste gewesen. Ein Fähn-
lein ist leicht an die Stange gebunden, aber es kostet oft viel,
es mit Ehren wieder niederzuholen. Einen Krieg wollten wir ja
nicht machen. Die gröbste Fehlrechnung aber beging die Reichs-
leitung darin, daß sie sich in den ersten Juliwochen über ihre Absichten
in Dunkel hüllte. Kiderlen hat nachträglich versichert, daß der Kanzler
niemals daran gedacht habe, marokkanisches Gebiet zu fordern. Nach
Lloyd Georges Drohrede aber sah es so aus, als ob er nur vor dem
erhobenen Schwert Englands zurückgewichen wäre. Unser Ansehen
erlitt in der ganzen Welt einen Stoß, und auch die deutsche öffentliche
Meinung stand unter dem Eindruck der Schlappe. „England stopped
Germany,“ war das Schlagwort der Weltpresse.
Es war seit Übernahme der politischen Leitung durch Bismarck die
erste schwere diplomatische Niederlage, die uns um so härter traf, als
das tönerne Gebilde unserer damaligen Weltstellung noch nicht sowohl
auf Macht, als großenteils auf Prestige ruhte. Bei Delcassés Ent-
fernung (1905) hatte es sich noch als wirksam erwiesen; jetzt aber emp-
fingen wir den Beweis, wieviel davon schon verbraucht war. Wenn wir
die Ohrfeige einfach einsteckten, steigerten wir die Kriegsfreudigkeit
Frankreichs, seinen „neuen Geist“ bedenklich und setzten uns bei der
nächsten Gelegenheit einer noch tieferen Demütigung aus. Es war also
nicht richtig, die erlittene Abfuhr zu verschleiern, wie die Reichsleitung
wünschte, sondern sie offen anzuerkennen und unsere Folgerungen daraus
zu ziehen. Für einen Staat, der sich bewußt ist, daß die Wohlfahrt