Die „freche, verbrecherische Propaganda“ 105
durch eine unverantwortliche Sparpolitik zu Wasser und zu Lande
geschädigt und damit zum Verlust des Kriegs beigetragen haben.
Die einzige Frage also, deren Beantwortung freilich mehr eine Sache
der Gesinnung ist, bleibt also, ob wir überhaupt kein Flottengesetz
beschließen und ausführen durften. Wer ein friedliches Verdorren der
deutschen Überseewirtschaft dem Versuch vorzöge, sie durch eine Gleich-
gewichtspolitik zur See zu schützen, mit dem ist nicht zu streiten, und
der unglückliche Ausbruch und Verlauf des Krieges wird ihm vor denen
recht geben, welche in diesem Verlauf der Dinge ein unausweichliches
Schicksal an Stelle einer Kette vermeidbarer Fehler erblicken. Ich hätte
meinem Volk nicht mit ganzer Seele eine Flotte gebaut, wenn ich nicht
an seine Eigenschaft, ein wirkliches freies Weltvolk werden zu können,
geglaubt hätte. Darin habe ich mich vielleicht getäuscht. Wenigstens legt
die Selbstbezichtigung unserer Demokratie die Vermutung nahe, daß ich
mich über die inneren Kräfte unseres Volkes getäuscht habe. An
ihrer Uneinigkeit, nicht an den äußeren Verhältnissen, ist der welt-
politische Anlauf gescheitert, nach meiner Uberzeugung, von der mich
auch der Lärm der Geschichtsklitterungen niemals abbringen wird. Den
Engländern wird, nachdem sie ihr ziel erreicht haben, dieser inner-
deutsche Versuch der Demokratie, sich reinzuwaschen von unserem frühe-
ren Streben nach friedlicher Weltgeltung, nur eine gelassene Verachtung
abnötigen. Die zukünftigen Geschlechter Deutschlands aber werden die
Erfahrung darin nachholen, ob die Angelsachsen es einem zur See ohn-
mächtigen Deutschland erlauben werden, als Industriestaat zu gedeihen.
Es gibt politische Stubengelehrte, die sagen: Wir hätten uns noch
ein paar Jahrzehnte lang, so wie Bismarck, des Flottenbaus und damit
jeder Reizung Englands enthalten sollen, bis wir auf dem Festland
ganz überragend geworden wären. Möchten diese, die also im wesent-
lichen an Caprivis Standpunkt festhalten, beachten, was Bis-
marck selbst über die unvermeidliche deutsch-englische Spannung und
ihre Gründe gesagt hat. Nach seinen dreihundertjährigen Staats-
grundsätzen würde England niemals geduldet haben, daß ein scharfer
wirtschaftspolitischer Wettbewerber, am wenigsten aber wir, die über-
ragende Macht auf dem Festland gewönne, ganz abgesehen von der
Frage, ob Letzteres überhaupt ein für uns erstrebenswertes Ziel war.
England hätte aber um so rücksichtsloser und unbefangener auch kriege-
risch gegen jede Ausdehnung unserer Macht auf dem Festland gewirkt,