Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

112 Der Ausbruch des Krieges 
wurde überhaupt nicht gedacht. Der Kaiser selbst sah also weitergreifende 
Gefahren für unwahrscheinlich an. Er hoffte, daß Serbien nachgeben 
würde, hielt es aber doch für erforderlich, auch für einen andern Ausgang 
der österreichisch-serbischen Auseinandersetzung gerüstet zu sein. Er hatte 
aus diesem Grund schon im Lauf des 5. den Reichskanzler v. Bethmann- 
Hollweg, den Kriegsminister v. Falkenhayn, den Unterstaatssekretär des 
Auswärtigen Zimmermam und den Chef des Militärkabinetts v. Lyncker 
nach Potsdam befohlen. Es wurde dabei beschlossen, daß Maßnahmen, 
die geeignet wären, politisches Aufsehen zu erregen oder besondere Kosten 
zu verursachen, vermieden werden sollten. 
Nach diesem Entschlusse trat der Kaiser auf Rat des Kanzlers die 
schon vorher geplante Nordlandsreise an. 
Es war die verfassungsmäßige Aufgabe und vornehmste Pflicht des 
Kanzlers, das Versprechen an Osterreich vom politischen Standpunkt 
der deutschen Interessen zu prüfen und seine Ausführung in der Hand 
zu behalten. Der Kanzler billigte den Entschluß des Kaisers in der 
Annahme, daß Österreichs ohnehin erschütterte Großmachtstellung in 
Verfall geraten müßte, wenn es von dem eroberungslüsternen serbischen 
Staat keine Genugtuung erhielte. Die Erinnerung an die bosnische 
Krisis von 1908/9 mag mitgespielt haben. 
Über die politische Betätigung des Kaisers während der Nordlands- 
reise bin ich nicht unterrichtet. Ich habe indeß Grund zu der Annahme, 
daß er keine ernstliche Gefahr für den Weltfrieden bemerkt hat. 
Wenn der Kaiser den Frieden nicht für bedroht hielt, ließ er gern der 
Erinnerung an ruhmreiche Ahnen freien Lauf. In Augenblicken dagegen, 
die er als kritisch erkannte, verfuhr er außerordentlich behutsam. Wäre 
der Kaiser in Berlin geblieben und hätte der normale Regierungs- 
apparat gespielt, so würde der Kaiser trotz seiner nur sporadischen 
Beschäftigung mit der Auswärtigen Politik vielleicht schon um die Mitte 
des Monats Wege gefunden haben, um der Kriegsgefahr auszuweichen. 
Da indeß auch der Chef des Generalstabes, der Kriegsminister, der 
Chef des Admiralstabes und ich während der nächsten Zeit von Berlin 
ferngehalten wurden, so geriet die Angelegenheit unter die monopol- 
artige Regie des Kanzlers, der, selbst in der großen europäischen Welt 
unerfahren, nicht imstande war, den Wert seiner Mitarbeiter im Aus- 
wärtigen Amt zu durchschauen. 
Der Kanzler holte auch schriftlich jedenfalls von mir keinen Rat ein.
	        
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