Mein Eindruck von dem geplanten Ultimatum 115
dort anwesenden Staatsminister v. Lvebell und dem sächsischen Ge-
sandten v. Salza geteilt.
Die Frage der Unterbrechung meiner Kur wurde dadurch erledigt,
daß der Kanzler mir den Wunsch ausdrücken ließ, nicht nach Berlin
zurückzukehren, um Aufsehen zu vermeiden. Noch am 24. Juli tele-
phonierte die Reichskanzlei dem Reichsmarineamt, meine Heimreise
würde die Lage verschärfen. Eine eigenmächtige Rückkehr konnte ich
weder für korrekt noch für nutzbringend erachten, zumal der Kanzler
mich mit einer gewissen Eifersucht von den auswärtigen Geschäften fern-
hielt und begonnen hatte, einen Sagenkreis um mich zu verbreiten,
als mischte ich mich in seine Politik. Im übrigen konnte ich aus den
Tagesmeldungen meiner Behörde, die vom Auswärtigen Amt natur-
gemäß nur lückenhaft unterrichtet wurde, ein klares Bild nicht gewin-
nen und stand ihnen zufolge wesentlich unter dem Eindruck, daß keine
Macht die Verantwortung für einen größeren Konflikt auf sich nehmen
würde. Man war an solche Spannungen seit Jahren gewöhnt. Bülotw
war ihrer noch immer Herr geworden. Die Verschärfung der Lage
nach der Überreichung des Ultimatums, insbesondere aber die Nach-
richt von der Rückkehr unserer Flotte in die heimischen Häfen ver-
anlaßte mich schließlich, am 27. Juli ohne Anfrage beim Kanzler
heimzukehren.
Das Ultimatum wurde der serbischen Regierung am 23. Juli über-
reicht. Ursprünglich war hierfür der 16. Juli in Aussicht genommen;
Wien verschob aber die Überreichung, um die Abreise des kriegs-
treiberischen Präsidenten Poincarbé aus Petersburg abzuwarten. In
Berlin bedauerte man diesen Aufschub, weil dadurch der frische Eindruck
des Attentats und damit das Motiv des Einschreitens verblaßte. Bei
dieser Meinungsverschiedenheit zwischen Wien und Berlin schwebte bei-
den Regierungen die Erhaltung des Weltfriedens als Ziel vor, und
sie unterschieden sich nur in der Auffassung über die Methode, wie in
das serbische Wespennest möglichst so hineinzugreifen wäre, daß man
dabei den Weltfrieden nicht gefährde. Berlin vertrat wohl den rich-
tigeren Standpunkt. Wenn überhaupt einmarschiert werden sollte, was
freilich weit gefährlicher war, als die Urheber des Gedankens für
wahrscheinlich hielten, dann mußte wenigstens rasch und imponierend
gehandelt werden, gerade um nach erfolgter Besetzung eines Faust-
pfandes um so bereitwilliger zu Verhandlungen sein zu können.
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