122 Der Ausbruch des Krieges
Indem wir durch eine vergröberte und ungeschickte Nachahmung
der bosnischen Krisis von 1908/9 England vor die Wahl stellten,
die Großfürstenpartei zu verstimmen oder den Krieg unter besonders
vorteilhaften Umständen zu eröffnen, drang die Stimmung jener
Klubs durch, welche unentwegt an den Krieg dachten und es nur
von der Gunst des Augenblicks abhängig machten, uns doch noch mit
Gewalt niederzuschlagen. Die neuerdings veröffentlichten Erinnerungen
des Admirals Fisher haben gezeigt, welches ungeheuerliche Maß an
Kriegswillen gegen uns mächtige Kreise in England besaßen, lediglich
erzeugt, wie Fisher sagt, durch Handelsrivalität. Diese Kreise, welche
1905 noch die kleine deutsche Flotte hatten „kopenhagen“ wollen, waren
1914 angesichts unserer großen Flotte zurückhaltender geworden. Als
aber im Laufe des Juli England die Sackgasse erkannte, in welche sich
Bethmann verrannt hatte, wandte es sich von der geschäftsmäßigen
Friedenspolitik der Verständigung, die es, wenn man seinen Versiche-
rungen glauben will, bis zu Greys Konferenzvorschlag innegehalten
hatte, zu der nicht weniger geschäftlichen Kriegspolitik, um nunmehr
als „perfides Albion“ Russen und Deutsche einander umbringen zullassen.
Die Gelegenheit, die wir ihnen boten, konnte günstiger nie wieder-
kehren. Sie hatten diesmal die Möglichkeit, uns ins moralische Un-
recht zu setzen und die Verkehrtheiten unserer Politik in Kriegs-
treiberei umzudeuten. Sie konnten die Übermacht der Welt gegen
uns werfen, und indem wir als die Angreifer erschienen — woran
Bethmann gar nicht dachte — auch juristisch unsere eigenen Bünd-
nisse entwerten. Schließlich war selbst strategisch der Augenblick für
die Engländer verlockend, was Bethmann nicht wußte und worüber
er sich bei mir nicht erkundigt hat. Obwohl das britische Kabinett
in diesen Krieg nur zögernd eintrat, gewann bei dieser Lage der
Kriegswille in ihm die Oberhand und legte zuletzt durch unterirdische
Ermutigungen der Franzosen und damit der Russen den Zünder an
die Detonationspatrone.
Bethmann wünschte keinen Weltkrieg und vermutete nicht dessen Aus-
bruch. Gerade deshalb glaubte er, anfänglich, daß Österreich einen Lokal-
krieg wagen dürfte. Es fehlte ihm und Jagow das Organ zur raschen Um-
stellung auf die tatsächliche Lage, daß nämlich die Ententemächte zwar einer-
seits ein gewisses Maß von Entgegenkommen zeigten zu einer gemeinsamen
Lösung der Lokalkrise, anderseits aber vor einem Weltkrieg durchaus nicht