Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

126 Der Ausbruch des Krieges 
Kriegstreiberei, die uns so unermeßlichen Abbruch getan hat, wurde 
erhoben. 
Daß Deutschland planmäßig auf den Krieg hingearbeitet haben 
solle, ist eine wilde Fabel, die am besten durch unser später zu schil- 
derndes Unvorbereitetsein widerlegt wird. Übrigens hat der General- 
oberst v. Moltke, der in den kritischen Wochen in Karlsbad sein 
schweres Leiden pflegte, mir später versichert, daß er mit den ganzen 
Verhandlungen nichts zu tun gehabt und keineswegs empfohlen hätte, 
das Ultimatum an Serbien als Prüfstein dafür zu verwenden, ob 
die Entente Krieg wollte oder sich dazu noch nicht stark genug fühlte. 
Hätte der Kanzler seiner Pflicht gemäß — er mußte sich doch 
vor einer solchen Aktion nach den militärischen Möglichkeiten in jeder 
Richtung erkundigen — mich gefragt, so hätte ich ihm sagen müssen, 
daß vom Standpunkt der Marine aus die an sich unerwünschte Kriegs- 
gefahr auch strategisch keinen günstigen Zeitpunkt fände. Der Dread- 
noughtbau, durch dessen Einführung England die Kampfkraft unserer 
Marine automatisch verdoppelte, hatte erst vier Jahre lang gewirkt. 
Der Nordostseekanal war unfertig. Der Höchststand der Flotte wurde 
erst 1920 erreicht. Einige Schwächen, die unserer Marine infolge 
ihrer Jugend, namentlich in der Führung, anhafteten, konnten nur 
mit der Zeit verschwinden. Selbst wenn die Schiffszahl einmal nicht 
mehr wuchs, wurde die Flotte mit jedem Jahr besser wie junger 
Wein. Das mechanische Vergleichen der Schiffszahlen verlor an Be- 
deutung, je mehr das psychologische Moment der innerlichen Festigung 
Geltung gewann. Von französischer Seite war offen der Zweifel 
geäußert worden, ob wir wirklich so „töricht“ sein würden, gemäß 
dem Flottengesetz unsere Bauziffer von 1912 ab sinken zu lassen. Wir 
hatten es gewagt und damit England den bündigen Beweis geliefert, daß 
wir kein Wettrüsten betrieben. Trotzdem und obwohl unsere Bündnisse 
zur See keine wesentliche oder sichere Unterstützung gewährten, rech- 
nete ich, daß etwa von 1916 ab ein englischer Angriff seemilitärisch 
nicht mehr wahrscheinlich sein würde. Jedes Friedensjahr war also 
für uns ein unschätzbarer Gewinn. Über diese Auffassungen habe ich bei 
meinen obenerwähnten Gesprächen in Tarasp keinen Zweifel gelassen. 
Der Kanzler hätte durch eine kollegiale Behandlung der Frage, 
wie sie kein anderer Staatsmann versäumt haben würde, die Ver- 
antwortung verteilt. Ich meinerseits hätte von dem Ultimatum abgeraten.
	        
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