130 Der Ausbruch des Krieges
noch den Frieden zu retten, standen wie so manchmal die Worte ge-
schrieben: Zu spät und halb.
Am 28. Juli früh besuchte mich der Chef des Marinekabinetts
v. Müller und sprach sich entsetzt über seine jüngsten Erfahrungen
mit Bethmann aus. Er hielte einen Kanzlerwechsel und einen Er-
satz Jagowo durch Hintze für unumgänglich. Die wirkliche Lage über-
schaute im übrigen auch Müller nicht.
Der Kaiser entfaltete, sobald er in Berlin eingetroffen war, eine
fieberhafte Tätigkeit, um den Frieden zu erhalten. Der Kanzler hatte
es nicht verstanden, den Kaiser wirklich auf dem Laufenden zu erhalten.
Es fiel dem Kaiser schwer, einen klaren Ausgangspunkt für eine wirk-
same diplomatische Aktion zu finden. Er sagte: „Er wüßte gar nicht,
was die Osterreicher wollten. Die Serben hätten doch alles bis auf
einige Bagatellen zugestanden. Seit dem 5. Juli hätten die Österreicher
nichts darüber gesagt, was sie vorhätten.“
Diese Äußerung fiel am 29. Juli abends im Potsdamer Neuen
Palais, wohin der Kaiser die militärischen Chefs geladen hatte, um
sie über seine Verhandlungen mit dem Kanzler zu unterrichten, der
völlig in die Knie gesunken wäre. Von den Zweifeln, die Bethmann
über seine Politik der ersten Juliwochen aufgestiegen sein mußten,
ahnten wir alle damals nichts. Wir sahen nur mit Schrecken, was.
sich vor unseren Augen abspielte, einschließlich des Kaisers, der sich
über Bethmanns Unzulänglichkeit, wie schon früher des öfteren, rück-
haltlos aussprach, aber die Meinung äußerte, er könnte sich von diesem
Manne jetzt nicht trennen, da er das Vertrauen Europas genösse.
Der Kaiser teilte mit, der Reichskanzler hätte vorgeschlagen, wir soll-
ten, um England neutral zu erhalten, die deutsche Flotte durch ein
Abkommen mit England opfern, — was er, der Kaiser, abgelehnt
hätte. Der Kanzler mußte sich wohl infolgedessen nach seiner Rück-
kehr aus Potsdam am Abend des 29., wo er den britischen Botschafter
zu sich bestellte, um ihm hohe Angebote für Englands Neutralität in
einem deutsch-französischen Krieg zu machen, hinsichtlich der Flotte
Zurückhaltung auferlegen. Die Anerbietungen, die er bei dieser Gelegen-
heit vorbrachte, sowie die schneidende Antwort, die ihm Sir Edward
Grey erteilte, sind aus dem englischen Blaubuche (Nr. 85, 101)
bekannt. Der Offentlichkeit ist dagegen unbekannt geblieben, daß der
Kanzler auch wiederum, wie 1912, bereit war, die deutsche Flotte