Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

132 Der Ausbruch des Krieges 
so unerhörtes Verfahren gegen uns, daß wir uns das nicht gefallen 
lassen könnten; wenn Rußland fortführe, müßten auch wir mobil- 
machen, und um unsere Mobilmachung nicht zu sehr in Rückstand 
geraten zu lassen, hätte ein Ultimatum an den Zaren abgeschickt 
werden müssen. Das war auch meine Auffassung. Die Blutschuld 
der für die russische Mobilmachung Verantwortlichen wird auch 
durch kein Ungeschick unserer Regierung gemildert. Trotz der in letzter 
Stunde zwischen uns und England hergestellten Einigkeit war durch 
die russische Mobilmachung der Krieg unabwendbar geworden, wenn nicht 
ein Wunder geschah. Längeres Zögern unserseits hätte unser Gebiet dem 
Feinde ausgeliefert und wäre nicht zu verantworten gewesen. In Wirklich- 
keit machten die Russen ja schon seit dem 25. mobil, und dieser Vor- 
sprung hat uns schwer geschadet, als die Kriegsmaschinen einmal rollten. 
Jedoch gab ich dem Kanzler zu verstehen, daß es mir richtig erschiene, 
in dem Ultimatum noch einmal hervorzuheben, daß sachliche Einigkeit 
bestünde und eine günstige Vermittlung im Gange wäre. Der Kanzler 
erwiderte mir ziemlich außer Fassung, das wäre ja dauernd gesagt 
worden und darauf hätte eben Rußland mit der Mobilmachung ge- 
antwortet. Ich hoffte mit meinem Vorschlage kaum mehr das Rad 
des Schicksals aufzuhalten, welches die russische Mobilmachung in Gang 
gesetzt hatte, jedoch die Verantwortung für alles Kommende noch aus- 
schließlicher auf die Feinde abzuwälzen. 
Am 1. August erfuhr ich in der Bundesratssitzung, daß wir dem 
Ultimatum eine Kriegserklärung an Rußland nachgeschickt hätten. Ich 
fand das für Deutschland sehr ungünstig. Wir mußten meinem Ge- 
fühl nach den Vorteil, daß wir gegen Rußland militärisch in der 
Defensive lagen, diplomatisch dadurch ausnützen, daß wir die Kriegs- 
erklärung den Russen überließen. Wir durften den Muschik nicht 
durch die Überzeugung begeistern, daß der Kaiser den weißen Zaren 
überfallen wollte. Auch die Entwertung unseres Bündnisvertrages 
mit Rumänien fiel ins Gewicht. Dieser Vertrag war, ebenso 
wie der mit Italien, vom Fürsten Bismarck auf die Verteidigung 
gestellt worden. Beide Staaten waren uns zur Hilfeleistung nur 
verpflichtet, wenn uns Rußland, bzw. Frankreich angriffen. Durch 
unsere Kriegserklärung an Rußland gaben wir den Rumänen formell 
das Recht, uns im Krieg allein zu lassen, ebenso wie später den 
Italienern durch unsere Kriegserklärung an Frankreich. Hatte Beth-
	        
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