Das politisch-militärische Hauptziel 143
Frieden zu klein gehalten, die Wehrkraft Deutschlands in verhängnis-
voller Unterlassung nicht genügend ausgeschöpft worden.
Es erschien mir in den ersten Kriegswochen vor allem wichtig, die
englischen Etappenlinien zu durchschneiden und nach Calais zu kommen.
Alles Übrige wäre uns leichter gefallen, wenn wir erst die Engländer
durch Abschneiden von den Kanalhäfen gezwungen hätten, die Über-
schiffung nach Cherbourg oder gar nach Brest vorzunehmen, also über
den Atlantik statt über eine Binnensee, was dem Krieg in Frankreich ein
anderes Gesicht gegeben hätte.
Ich habe Moltke vergeblich hierzu gedrängt, und auch Feldmarschall
von der Goltz, der meinen Standpunkt teilte, drang nicht durch.
Auf die Entschließungen Falkenhayns konnte ich keinen Einfluß ge-
winnen.
Im Krieg braucht man ein bestimmtes großes politisches Ziel, auf
das man mit konzentrierten politisch-militärischen Kräften losgeht. Und
zwar entscheidet im Krieg der Hauptgegner. Teilsiege über Nebengegner
sind bestenfalls Mittel zum Zweck. Das eigentliche Ziel durfte nur eins
sein: die feindliche Koalition ins Herz zu treffen. Ob wir dies Ziel er-
kannten, davon hing unser Schicksal ab.
Wer war aber der Hauptgegner? Für mich zweifellos der, welcher
die größten Mittel und den umfassendsten Kriegswillen besaß. Das
politische Hirn der Entente war siets London gewesen; es wurde
immer stärker auch zum militärischen Gehirn. Demgegenüber mußten
wir auch alle Siege über Rußland als Teilsiege auffassen, die dazu
dienen sollten, unsere Kraft gegen den Hauptfeind frei zu machen, indem
sie einen raschen Sonderfrieden mit dem Zaren ermöglichten.
Keine Zerstücklung des Zarenreichs aber, auf welche die deutsche
Diplomatie und Demokratie ausgingen, half uns etwas, wenn wir
den Hauptfeind nicht trafen.
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Mit Recht schreibt das Volksgefühl nicht den Militärs, sondern
dem Staatsmann Bismarck das Hauptverdienst an den gewonnenen
Kriegen zu, welche uns frei, einig und wohlhabend gemacht haben.
Solange unser Volk gesund und treu, unsere Wehrkraft unüberwind-
lich war wie in den ersten Jahren des Weltkriegs, hatte die
Staatskunst politische, militärische und maritime Handhaben ge-