Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

150 Hauptfragen des Krieges 
Schmerz kann man an die weltverändernde Wirkung denken, welche 
eine durchgeschlagene Seeschlacht in den ersten Kriegsmonaten gehabt 
haben würde. Ja schon eine unausgefochtene Schlacht in der Art der 
Begegnung vor dem Skagerrak hätte damals Großes gewirkt, während 
dieses siegreiche, aber nicht durchgeschlagene Treffen trotz unserer Vorteile 
dabei nach fast zwei Kriegsjahren keinen nachhaltigen politischen Erfolg 
mehr erzielen konnte. Die allgemeinen Verhältnisse hatten sich ja in- 
zwischen schon zu sehr zugunsten Englands verschoben und befestigt, und 
die damals noch neutralen Völker hatten den Glauben an unseren End- 
sieg nach dem Einknicken vor Wilsons Niederboxungsnote schon verloren. 
Selbst eine für uns unglückliche Seeschlacht hätte unsere Aus- 
sichten nicht wesentlich verschlechtert. Es war mit Sicherheit anzunehmen, 
daß die Engländer ebensoviel verloren wie wir. Schlimmeres als ihr 
Nichtgebrauch konnte unserer Flotte überhaupt nicht zugefügt werden. 
Die angebliche Minderwertigkeit der deutschen Schiffe ist damals 
als Ausrede erfunden und verbreitet worden, um die Untätigkeit der 
Flotte zu rechtfertigen; es ist eine der traurigsten und unheilvollsten 
Verleumdungen der deutschen Geschichte. 
Mit dem Nichtgebrauch der besten, ja zunächst einzigen Waffe gegen 
England begann das Trauerspiel der verpaßten Gelegenheiten. 
Nachdem hierdurch, ferner durch Italiens Eintritt in den Krieg 
und durch die Nichtausführung des Hindenburgschen Kriegsplans für 
1915 die Aussicht auf den russischen Sonderfrieden und damit auf 
die Lösung des Knotens zunächst ferngerückt war, fiel uns Anfang 
1916 mit dem zur Ausführung gereiften Ubootskrieg noch einmal 
ein Gnadengeschenk des Himmels zur Rettung Deutschlands in den 
Schoß. Ein späteres Kapitel wird die Geschichte der Verworrenheiten 
erzählen, denen zufolge auch dieses letzte entscheidende Kriegsmittel 
um das ausschlaggebende Jahr zu spät eingesetzt und so die Sicherung 
unserer Zukunft verloren worden ist. Anfang 1916 waren wir, da die Zeit 
gegen uns arbeitete, nicht mehr stark genug, um ein weiteres schleichen- 
des Aufbrauchen unserer Kräfte und unseres Prestiges zu ertragen. 
Ich bin damals aus dem Dienst geschieden, weil die entscheidenden 
Persönlichkeiten unsere Aussichten zur See nicht erkannten und nicht 
dem wahren Ernst unserer Lage entsprechend handeln wollten. Der 
Wirtschaftskrieg war zur Hauptsache, die Armeefront war trotz den 
ungebeuren Kraftleistungen, welche ihr die Abwehrschlachten abnötigten,
	        
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