Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Propaganda 153 
auch schon vor dem Kriege mit allen Mitteln verbreitet werden müssen, 
da unser Volk der großen Ziele sehr entbehrte, der nationale Sinn 
bei uns nicht gleichmäßig entwickelt, die Macht der Angelsachsen falsch 
bewertet, die Erkenntnis, daß wir der Macht nach außen nicht ent- 
behren können, von kosmopolitischen Utopien vielfach überwuchert war. 
Im Kriege aber, als es sich um Sein oder Nichtsein handelte, mußte 
der Willen zum Leben entflammt und wachgehalten werden. 
Was tat dagegen unsere politische Leitung? Wohl wehrte sie manch- 
mal Verleumdungen ab. Im übrigen klang ihre Tonart etwa so: 
„Wir haben zwar den Krieg erklärt, wir wollen uns aber nur ver- 
teidigen, nicht euch schlagen. Wir haben Belgien zwar Unrecht ge- 
tan, wollen es aber nachher möglichst wieder gutmachen; wir wollen 
es nicht ganz erobern, aber doch etwas davon behalten. Ein Ziel, 
einen Zweck, eine Idee haben wir bei diesem Kriege überhaupt nicht. 
Wir kämpfen zwar für das Gleichgewicht auf dem Meere, aber vor- 
erst nur mit Worten, da wir zugleich verhindern müssen, daß die 
reaktionäre und zudem so bestechliche russische Beamtenschaft wieder 
die ritterlichen Polen beherrsche. Daß die Angelsachsen sich durch die 
leidige Flotte bedrückt fühlen, kann ich verstehen; ich billige ihnen 
zu, daß sie so fühlen, obwohl unsere Flotte eigentlich nur halb so 
stark ist wie die englische allein genommen. Seid doch hierüber nicht 
so böse, ich, euer Freund, habe die leidige Flotte nicht verhindern 
können, obwohl ich als Reichskanzler eigentlich die Macht dazu ge- 
habt hätte und verantwortlich bin. Auch habt ihr nicht ganz un- 
recht, wenn ihr sagt, wir sind weniger demokratisch als ihr ein- 
gerichtet. Eine zusammenfassende Staatskraft war zwar aus unserer 
Eigenart, unserer geschichtlichen Erfahrung und unserer geographischen 
Lage nötig, und der Kaiser besitzt auch nicht die verfassungsmäßige 
Macht wie der Präsident Wilson, aber wir wollen das schon ändern. 
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir das Elsaß mit seinem 
Vogesenwall längst den französischen Propagandisten ausgeliefert, damit 
es ganz frei sei. Die Fraktionsinteressen des Reichstags unterstütze 
ich im Grunde lebhaft, um den demokratischen Gedanken bei uns 
zum Durchbruch zu bringen. Es wäre zwar besser, wenn wir solche 
inneren Veränderungen erst nach dem Kriege vornähmen, denn sie 
lenken die Augen unseres Volkes zu sehr von dem furchtbaren Ernst 
seiner Schicksalsstunde ab; aber ich fühle im Einverständnis mit meinen
	        
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