Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

154 Hauptfragen des Krieges 
demokratischen Freunden, daß wir durch unsere Demokratisierung euere 
Zuneigung und die gute Gesinnung der Welt uns sichtlich erwerben. 
Darum gehe ich schon jetzt in dieser Richtung vor, und da ich euch 
edle Gesinnung auch als heutiger Feind zubillige, so werden wir bald 
zu einem Frieden kommen, der gerecht ist nach allen Seiten.“ 
Um solchen Gedankengängen in Deutschland Geltung zu verschaffen, 
wurde der natürliche Instinkt unseres Volkes, wie er beim Kriegs- 
ausbruch überwältigend zutage trat, planmäßig durch Pressezensur und 
durch ein von der Wilhelmstraße ausgehendes Kanalsystem des 
Stimmungsdrückens, vor allem aber durch den von der Demokratie 
entfachten Streit um innere Kriegsziele abgelenkt und gebrochen, so 
daß schließlich tatsächlich die Moral unseres Volkes und die Kraft 
seines Widerstandes niedergingen und es den Glauben an sich selbst 
verlor. Bei der großen Gefahr, gegen die wir standen, wie jeder 
Staatsmann übersehen mußte, war hoher Flug der Ideen und volle 
Erhaltung der Moral vom ersten Tag des Krieges an unerläßlich, 
wenn wir den Kampf bestehen und zu einem Ende kommen wollten, 
das uns ermöglichte, die schweren Schläge des Kriegs einigermaßen 
zu heilen und die Sendung Preußen-Deutschlands fortzuführen. 
Aus tausend Wunden blutend, schlecht genährt, mit dem Rücken 
an die Wand der Heimat gelehnt, stand der beste Teil des Deutschtums 
im Kampf um sein Dasein, als ihm die Wand von hinten zer- 
schlagen wurde und er, die Besinnung verlierend, in Fieberdelirien 
ausbrach. 
Der Fluch der Geschichte und unserer Nachkommen, falls das 
Deutschtum erhalten bleibt, wird auf denen lasten, die hierzu bei- 
getragen haben. 
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Die politische Leitung warb nicht rechtzeitig Bundesgenossen und 
Sympathien; sie gab dem deutschen Volk keine ermutigenden Ideale 
für den Krieg. Sie hat ihm aber auch die Augen nicht geöffnet 
für die Schrecken der Niederlage. Das Schlagwort vom reinen Ver- 
teidigungskrieg war eine Illusion, die uns ins Verderben führen mußte, 
weil England unsere Weltstellung während des Krieges schon zerstört 
hatte; da war nichts zu verteidigen mehr, sondern günstigstenfalls 
durch den Frieden neu aufzubauen. Das deutsche Volk konnte nicht
	        
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