Die Taktik der Demokratie 159
durch seine Gabe, den Krieg zu verlängern, günstigere Friedens-
bedingungen, vor allem die Ehre und das Selbstvertrauen, die Grund-
lage jedes nationalen Wohlstandes, gerettet hatte. Das deutsche Volk
sah nicht, daß England keinen Verständigungsfrieden haben wollte —
wie prompt wäre jede Möglichkeit dazu unsererseits aufgegriffen wor-
den! —, sondern nur darauf wartete, bis die Unvernunft unserer
mißleiteten Massen die „Kriegsverlängerer“ gestürzt, d. h. die Samm-
lung der Kräfte und Anspannung der Energie zerstört haben würde.
Das Ziel der Feinde war, wie heute auch dem blödesten Blick offen
liegen muß, unser Untergang. Zu einem Verständigungsfrieden hatte
England schon deshalb keine Veranlassung, weil es denselben bei der
Art unserer Politik und der von ihr beeinflußten Kriegsführung immer
noch zur rechten Zeit haben konnte. England wollte also mehr. Da
aber war für jeden rechten Deutschen auch der längste Kampf und
die geringste Aussicht auf Sieg lieber aufzunehmen, als das ver-
nichtende Endurteil ohne zwingende Notwendigkeit anzuerkennen. Letz-
teres war glatter Volksverrat.
Ich verkenne natürlich keinen Augenblick, welchen Anfechtungen
die Nervenkraft der Massen des deutschen Volkes infolge der Hunger-
blockade ausgesetzt war. Die physischen und seelischen Einwirkungen
dieses grausamsten aller Kriegsmittel, dessen Einführung in den moder-
nen Krieg England vorbehalten war, dürfen nicht unterschätzt werden
und bilden für die allmählich nachlassende Widerstandskraft im Volke
eine starke Entschuldigung. Umsomehr aber erwuchs den Führern der
Nation, überhaupt jedem weitersehenden Politiker die Pflicht, nüchtern
die Zusammenhänge zu erkennen und alle Mittel einzusetzen, um die
Kampfkraft aufrecht zu erhalten und richtig zu orientieren. Wo aber
der Wille, zu siegen, fehlt, da erlahmt ganz natürlich auch die Kraft dazu.
Ich war mir von Kriegsbeginn an darüber klar, daß einem ver-
lorenen Krieg mit einer gewissen Notwendigkeit die Revolution folgen
würde, wenn ich es auch niemals für möglich gehalten hätte, daß
es Deutsche gäbe, die noch vor Friedensschluß der Verführung zum
Umsturz und zur Auslieferung der Gesamtheit an den äußeren Feind
erlägen. Angesichts unserer zum inneren und äußeren Abgrund führen-
der Politik sahen auch andere schwarz; der Kronprinz hat mich schon
1915 gefragt, ob ich glaubte, daß er noch zur Regierung gelangen
würde. Brach aber der alte Staat zusammen, so sank auch die Kraft