Kriegsbriefe 1915 223
das ganze Volk, welches so Ungeheures geleistet, warte auf seinen Kaiser,
traue aber dem Verfahren der Obersten Heeresleitung nicht, alles umsonst!
Da kann ich mich nicht wundern, wenn auch ich nichts erreicht habe, nur
nimmt Hindenburg das Gefühl doch für sein Lebensende mit, etwas Großes
trotzdem geleistet zu haben. Es ist rührend anzusehen, wie das Volk ihn hier
auf Händen trägt, jung und alt, Greise und Mütterchen, geschweige die
Jugend machen Front, wo er sich nur blicken läßt. Er kann sich gar nicht
bergen vor Blumen. Die Schlichtheit, Treue und der Charakter, der aus ihm
spricht, sind wahrhaft herzerfrischend, wenn man aus der verfluchten Bande
in Pleß herauskommt. Ich habe frisch von der Leber weg geredet und er und
Ludendorff ebenso. Er will mich unterstützen so gut er kann, für die Türkei
und die Uboote. Wir sind einig betreffs Rußlands und Belgiens, aber die
Tatsache bleibt bestehen, daß Falkenhayn das Heft in der Hand hat: Gruppe
Hindenburg, Gruppe Prinz Leopold, Gruppe Mackensen, alles wird eingestellt
auf Falkenhayn.
Heute nachmittag sehr schöne Fahrt mit Spaziergang um einen Teil der
Seen und durch die Feste Boyen. Erklärung der russischen Stellung. Die
Kerls waren doch höllisch dicht hier dran, und Ruinen bezeichnen ihre zeit-
weise eroberten Orte. Sehr nette Tafelrunde. Ich bin gut untergebracht und
erst von dort per Auto nach Libau. Neun Stunden per Auto von hier wäre
etwas viel gewesen. Außerdem kann ich im Salonwagen (Ertrazug)
lesen und Post abfertigen, du wirst in den nächsten Tagen keine Briefe von mir
bekommen können, ich kann frühestens am 17. August wieder schreiben. Hier
wird es schon etwas herbstlich. Morgen früh holt mich Hindenburg um
8 Uhr a. m. zum Spaziergang ab. Er sagte, wie ich auf die Kundgebungen
der Bevölkerung überall, in Dörfern, auf den Fluren usw. hinwies: „Ja,
die Leute sind rührend, aber ich würde gern darauf verzichten, wenn mein
Kaiserlicher Herr mich weniger distanzierte.“ Abendessen sehr nett, mit Luden-
dorff noch mehr gesprochen.
Im Extrazug Lötzen—Memel, 14. VIII.
Es war noch eine Herzenserquickung in Lötzen mit diesen Leuten (eine Ge-
sellschaft von Brüdern, wie Hindenburg sagte) einen vollen Tag zusammen
zu sein. Heute morgen von 8—9,30 Uhr machte ich einen herrlichen Spazier-
gang mit Hindenburg. Das Seengebiet mit seinen schönen Wäldern, seinem
welligen, fruchtbaren Boden, den Seen, die in der Abendsonne wie Opal
glänzten, und am Morgen wie Silberfluten, zeigte sich wirklich in entzücken-
der Schönheit, die Luft von einer herben Kraft und jetzt noch nicht kalt. Hin-
denburg teilte vollständig meine Auffassung der Verhältnisse.
Mit dem definitiven Verlassen des Hauptquartiers fand diese Kriegs-
korrespondenz ihr Ende.