Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Taktische Arbeit und Flottenpläne 31 
legte. Ich verhinderte dies, denn nur mit ständigen Formationen, die 
im Frieden so fuhren und zusammengesetzt waren, wie im Kriege, war 
es auch möglich, die Flotte taktisch auszubilden. 
Zunächst hoben wir die Einzelausbildung der Schiffe und gingen 
dann stufenmäßig weiter. Es war menschlich, daß dieser Eingriff von 
oben her von den Kommandanten und dem Geschwaderchef nicht an- 
genehm empfunden wurde, und ich führte den Spitznamen „Meister“. 
Gegen den Herbst hin zogen wir alles, was wir an Schiffen in der 
Heimat aufbringen konnten, zu einer Übungeflotte zusammen, die unter 
dem persönlichen Befehl des Oberkommandos operierte. Indem wir sie 
ohne Rücksicht auf die Schiffsart zu Schlachtkörpern formierten, ver- 
einigten wir Mengen von Schiffen, wie sie noch niemals zusammen 
geübt hatten. Man konnte auch hier sagen, daß Menschen fochten, nicht 
Schiffe. Denn die Flotte war ja so klein, daß wir nur durch das Zu- 
sammenschrapen der Schulschiffe, Versuchsschiffe, Minensuchschiffe und 
anderer Simulaker größere Gefechtsbilder zustande bringen und Parteien 
gegeneinander manövriren lassen konnten. 
Nun begann das Operiren im größeren Verband. Dabei fiel eine 
Reihe von bis dahin wert gehaltenen Erxerzierformationen ohne wei- 
teres hinweg, auch Keil und Karrs. Wir fanden 1892/4 unfsre Linear- 
taktik. Dabei kam es darauf an, den Gegner, wie immer er sich be- 
wegte, auf der Mitte unsrer Linie zu halten. Wir fanden ferner unsern 
Geschwadergrundsatz. Bisher hatte keinerlei Theorie der Seeschlacht 
und keine Klarheit darüber bestanden, welche Schiffsmenge die kampf- 
kräftigste Geschwadereinheit abgäbe. Mit Rücksicht auf das Wesen 
der Lineartaktik einerseits, den Erfolg unsrer intensiven Ausbildungs- 
arbeit anderseits durften wir als günstigste Norm für die in einer 
Linie fechtenden Verbände die Jahl von acht Schiffen aufstellen; beim 
Vorhandensein von mehr Schiffen wurden mehrere Geschwader gebildet, 
die in einer Kombination von Linien kämpfen sollten. So erwuchs 
aus der Taktik eine neue Organisation, die auf das Flottengesetz nach- 
mals bestimmend eingewirkt hat. Auf Grund unsrer Ergebnisse habe 
ich auch den alten Namen „Linienschiff“ wieder in die Kriegsmarine 
eingeführt. 
Bald nach uns sind alle Marinen zu einer Art von Lineartaktik 
übergegangen und haben unsern Geschwadergrundsatz übernommen. So 
mag es die Heutigen befremden, daß zu Anfang der Neunziger Jahre
	        
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