Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Tsingtau 39 
weit nördlich und außerhalb der großen Handelsstraße läge; auch 
mein Amtsvorgänger hatte 1895 Tsingtau für unbrauchbar erklärt. 
Außerdem wurden Auswärtiges Amt und Reichsmarineamt bei ihrer 
Vorliebe für Amoy durch politische Gründe bestimmt; man fürchtete 
nämlich russischen Einspruch gegen eine Festsetzung im Norden, wäh- 
rend auf die Tschusaninseln ein britisches Vorkaufsrecht bestand. 
Eingehende Ermittlungen und Beobachtungen an Ort und Stelle 
brachten mich jedoch immer mehr zu der Überzeugung, daß Tsingtau 
für uns der gegebene Platz war; in eingehenden Berichten habe ich 
diese Stellungnahme begründet. Bekanntlich hat dann mein Nachfolger, 
Admiral v. Diederichs, die deutsche Flagge dort gehißt. 
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Die Form der Pachtung hatte ich mir schon in Ostasien so zurecht- 
gelegt, daß sie möglichst wenig nach gewaltsamem Eingriff aussah und 
den Chinesen erlaubte, das Gesicht zu wahren; zuletzt habe ich den 
Pachtvertrag in Berlin gemeinsam mit Herrn v. Holstein aufgesetzt. 
Als Staatssekretär des Reichsmarineamts fiel mir nunmehr von 1898 
ab die innere Eroberung des Neuerworbenen, die Rechtfertigung unseres 
Schrittes durch friedliche Kulturarbeit zu; es galt, mit mäßigem Ka- 
pitalsaufwand Werte zu wecken, deren Vorhandensein die Chinesen 
selbst nicht ahnten, und mit großem Zug in kleinem Rahmen zu zeigen, 
wozu Deutschland imstande wäre. Die sechzehn Jahre unserer Arbeit 
in Tsingtau, Torso geblieben und einer noch weit größeren Entwick- 
lung, die wir vor uns hatten, für immer beraubt, haben sich der frem- 
den Erdhälfte unverwischbar eingeprägt. Im Vergleich mit dem 55 Jahre 
älteren britischen Hongkong war die Entwicklung des öden Fischerortes 
zu einer Stadt von 60 000 Einwohnern und wichtigem Hafenplatz trotz 
erschwertem Wettbewerbe geradezu stürmisch und doch in jeder Hinsicht 
gesund. 
Die Größe des Gebiets war genau für unsere Bedürfnisse umschrie- 
ben. Ich empfahl, nur soviel zu nehmen, wie für künftige Befestigung 
und Ausbreitung der Siedelungs- und Fabrikanlagen erforderlich war. 
Das ganze Pachtgebiet wurde von uns enteignet. Ich hatte in Ost- 
asien die großen Nachteile kennen gelernt, die eine schrankenlose Boden- 
spekulation in den dortigen europäischen „Settlements“ mit sich ge- 
bracht hatte. Eine Frage, die ja auch in der Heimat des Studiums
	        
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