Tsingtau 45
muß der ehemalige Deutsche doch eine Empfindung von dem Eindruck
seiner Mittellung auf mich empfangen haben, denn er sagte zu dem
mich begleitenden Seeoffizier: „Ihr Chef scheint sich gewundert zu
haben, daß ich bereits amerikanischer Bürger geworden bin, aber Sie
werden es verstehen, ich bin hier früher Professor geworden, als ich es
in Deutschland geworden wäre, und da muß ich doch dankbar sein.“
Was der Herr von Deutschland mitgenommen hatte, spielte offenbar
keine Rolle mehr. Ich führe solche Beispiele, deren ich viele in Erinne-
rung habe, nur an, um den Mangel an nationalem Stolz, Gesinnung
und Verpflichtung zu charakterisieren, der unserem Volk verhängnis-
voll anhaftet.
Bei solchen Erfahrungen und Eindrücken von deutschem Kultur-
dünger haben mich Feststimmungen und Denkmalsenthüllungen, die bei
uns nicht fehlten, immer mehr kalt gelassen. Die zehn Millionen Nord-
amerikaner deutscher Abkunft haben gemäß ihrem von der Heimat mit-
gebrachten Nationalcharakter Deutschland zugrunde gehen lassen, ohne
einen Finger zu rühren. Wie andere Rücksicht erzwingen sich die Irlän-
der, und doch wird man nicht behaupten wollen, daß Irland seinen aus-
wandernden Kindern mehr Kulturwerte mitgegeben habe als Deutsch-
land. Mit Schmerz habe ich im Tabernakel der Mormonenstadt rings
um mich schwäbeln gehört und vernehmen müssen, wie ein Missionar,
der in das „Land der Heiden“ geschickt wurde, um Bekehrungen vor-
zunehmen, gewisse Gegenden Deutschlands als besonders fruchtbar für
seine Arbeit schilderte. Indes, wenn man auch fast auf der ganzen
Erde in die Lage kam, über das eigene Volk, trotz seinen großen Lei-
stungen, trauern zu müssen, und wenn bei den Deutschen draußen
häufig das persönliche Interesse allein den Ausschlag gab, während jeder
Engländer fast selbstverständlich ein Agent des Foreign Office war,
sobald es sich um englische Interessen handelte, so hatte man doch
in der letzten Zeit vor dem Kriege angefangen, das reiche Kapital,
welches wir in unseren Auslandsdeutschen besaßen, mehr auszunutzen.
Mit der steigenden Kraft und Würde des Deutschen Reiches, insbesondere
mit dem Aufblühen seiner Seegeltung, begann sich auch das Auslands-
deutschtum dem Blut und der Kultur nach wieder mehr als berechtigtes
und verpflichtetes Glied eines großes Körpers zu fühlen.
Die Heranholung des Auslandsdeutschtums, das an sich ungünstiger
über die Welt zerstreut ist, als die angelsächsische, spanische oder selbst