Im Reichsmarineamt 57
werden konnten. Ich habe dabei das Hochkommen selbständiger Naturen
auf jede Weise gefördert, machte aber je länger, desto bestimmter die
eigentümliche Erfahrung, wie spärlich die wirklich schöpferischen Kräfte
sind und wie Naturen, die auf zweiten Posten sich bewährt haben, auf
ersten völlig versagen können. Man kann sich bei Beförderungen schwer
dagegen schützen, daß man gelegentlich aus einem guten Ersten Offizier
einen schlechten Kapitän macht.
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Im Reichsmarineamt versicherte man mir, daß wir die Gesetzesform
nicht durchbekommen würden. Derselben Meinung war auch unser
zuverlässigster parlamentarischer Freund, der nationalliberale Führer
v. Bennigsen, der riet, es mit jährlichen Bewilligungen zu versuchen.
Ich bestand aber auf dem Gesetz, entschlossen, das als unwahrscheinlich
Bezeichnete zu wagen und im Fall des Mißlingens auszusteigen.
Ich brauchte ein Gesetz, um die Stetigkeit des Flottenbaus nach
verschiedenen Flanken zu schützen. Außerlich sprach für die Gesetzes-
form am meisten der Umstand, daß der Reichstag sich dadurch selber
die Versuchung abschneiden sollte, alljährlich neu in technische Einzel-
heiten einzugreifen, wie früher, wo jedes Schiff zum „Exerzitium von
Debatten“ geworden war und im Spiel wechselnder Mehrheiten das
Reichs-Marineamt nicht das sachlich Wichtigste, sondern das, was gerade
durchging, forderte. Mit Parteikoalitionen, die Schiffe als Kompen-
sationsobjekte behandelten, konnte man keinen Flottenkörper aufbauen,
der ein Menschenalter geduldigen, einheitlichen Wachstums verlangte.
Die zweite Seite, von welcher das Chaos herandrängte, wogegen ich
ein Gesetz bedurfte, war die Marine selbst. Gerade wo es sich
um Spezialkenntnisse handelt, schwirren die Überzeugungen auseinander.
Die deutsche Marine war, als ich das Staatssekretariat antrat, eine
Modellsammlung, wenn auch keine so bunte wie die russische Flotte
unter Nikolaus dem Zweiten. Auch die englische Marine ist es bis zu
einem gewissen Grad; aber dort spielt Geld keine Rolle; hatte man
eine Serie falsch gebaut, so warf man sie in die Ecke und baute eine
neue. Das durften wir uns nicht erlauben. Außerdem hatte man in
England mehr Verständnis dafür, daß Ansichten sich ändern, während
der doktrinäre Deutsche sofort erklärte: da hat er etwas Falsches ge-
baut, Anathema sit. Wenn man dem Deutschen ein System vorsetzt,