Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Geldnöte 75 
habt wie wir. Da die Engländer aber keine Deutschen sind, so werden 
sie nur widerwillig zugeben, daß das Fremde besser war, als ihr Eigenes. 
Ich überwinde mich schwer, dies zu betonen. Aber wenn unser Volk aus 
seinem Schicksal lernen soll, so muß es auch die Selbstmörderecke in 
seinem Wesen erkennen. Denn erst nach der Schlacht am Skagerrak 
haben viele begriffen, welche Waffe sie an der deutschen Flotte besaßen. 
Es war versäumt worden, rechtzeitig die geschichtlichen Folgerungen 
aus ihrem Besitz zu ziehen. 
Als die deutschen Armeen 1870 mit einem minderwertigen Gewehr 
in den Krieg zogen, sagte man der Truppe: „Das Chassepot ist nur 
auf weitere Entfernung überlegen. Da lauft ihr drunter weg, und 
dann von 400 Meter seid ihr die Überlegenen.“ 
Man hatte der deutschen Marine nur die Wahrheit beizubringen, um 
sie in den ersten Kriegsmonaten mit unbezwinglichem Überlegenheitsgefühl 
in die Schlacht ziehen zu lassen. Statt dessen wurde in den höheren 
Stellen der Marine zum Teil ein Sport damit getrieben, alle Mängel 
an Einzelheiten zu kritisieren. Dies trug in das Offizierskorps einen 
für den Ernsifall bedenklichen Zug hinein: es wurde mehr gezweifelt 
als geglaubt. Daß wir an der einen oder andern Stelle etwas noch 
hätten besser machen können, ist selbstverständlich. Aber man betrachte 
das Endergebnis als Ganzes. Das vermochte unser Deutschland von 
1914 nicht. Es hielt es nach dem Spruch auf dem Schießplatz zu 
Meppen: „Hast du im Leben hundert Treffer, 
Man sieht's, man nickt, man geht vorbei, 
Doch nie vergißt der kleinste Kläffer, 
Schießt du ein einzigmal vorbei.“ 
Das deutsche Volk hat im Grunde ja so viel Glück gehabt bei seinem 
späten, aber zielbewußten und darum noch rechtzeitigen Flottenbau. 
Aber das letzte, entscheidende Glück blieb ihm versagt, und dazu trug 
seine eigene Neigung bei, am Heimischen zu kritteln und das Fremde 
zu bewundern. Mit aus diesem Grund ist die Flotte nicht rechtzeitig 
eingesetzt worden, woraus sich die später zu schildernden Folgen ergaben. 
4 
Das Parlament hat mir im allgemeinen nicht allzuviel Nöte bereitet. 
Das Unentbehrlichste war durchzusetzen; das Vertrauen des Reichstags
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.