Alle kleinen Marinen sterben mit der deutschen 87
schlagende Kraft. Die Bündniskarte mußte aber anders aussehen,
je nachdem man sie vom Standpunkt der Welt- und Seepolitik aus ins
Auge faßte oder von dem überlieferten Viereck Berlin-Paris-Wien-
Petersburg, welches das gewohnte Gesichtsfeld des deutschen Diplo-
maten umschrieb. In jenem Zusammenhang konnte mancher Klein-
staat wichtiger werden als manche alte Großmacht. Deutschland er-
hielt Bündniswert für Staaten, von denen uns die Ozeane trennten.
Und da das zwingende Interesse, welches uns zum Schutz unserer See-
geltung den Flottenbau aufgenötigt hatte, ganz parallel lief mit dem
Interesse sämtlicher anderer nichtenglischer Mächte, welche Flotten bau-
ten, so konnte und mußte die Reichsleitung, wenn sie den Flottenbau
nicht selbst entwerten wollte, ihre Ziele um diesen neuen Angelpunkt
herum gegen früher teils ausweiten, teils aber auch beschränken.
Es würde zu weit führen, die Unterlassungen unserer Diplomatie im
einzelnen zu erörtern. In unserer Lage würde schon ein einziger nennens-
werter Verbündeter von entscheidendem Einfluß gewesen sein, sei es
Rußland, sei es Italien, dessen Seerüstungen von uns stets tunlichst
zu stärken waren. Japans wohlwollende Neutralität hätte den Aus-
bruch des Weltkrieges wahrscheinlich verhindert. Die zuverlässig neu-
trale Haltung Rußlands in einem deutsch-englischen Krieg hätte bei
dem 1914 von uns erreichten Flottenstand genügt, den Offensivgeist
unserer Marine gegen England geistig und materiell völlig freizumachen.
Um zu ermessen, welchen Trumpf unsere Flotte damals einer tätigen
Diplomatie in die Hand gab, muß man sich vergegenwärtigen, daß
infolge der durch uns bewirkten Anhäufung der englischen Seestreit-
kräfte in der Nordsee die englische Seeherrschaft im Mittelmeer und in
den ostasiatischen Gewässern praktisch aufgehoben war. Unsere tatsäch-
liche Bündnispolitik hat von der deutschen Flotte freilich keinen an-
deren Dienst gefordert, als die Rettung der Dardanellen, deren Öff-
nung die britische Flotte nicht erzwingen konnte, da sie mit zu vielen
Kräften in der Nordsee gefesselt war. Der einzige Nutzen Österreichs
für unsere Marine bestand in einer Ausbesserungswerkstatt für unsere
Uboote in Pola, nebst dem Ubootsstützpunkt in Cattaro. Mit lauter
seeohnmächtigen, uns von wirklicher Weltpolitik abziehenden Ver-
bündeten traten wir in einen Krieg, in dem die deutsche Marine
gegen die Flotten der ganzen Welt stand.
Nicht nur Deutschland geht aus dem Weltbrieg geschwächt hervor,