94 Marine und auswärtige Politik
matischem Geschick und Zurücktreten alles Persönlichen bei den Leitenden.
Ich vertrat deshalb mit aller mir gegebenen Kraft die einzigen Mo-
mente, welche diesen Frieden bringen und die Vernichtung fernhalten
konnten: die Seeschlacht und den rechtzeitigen Ubootskrieg, den Sonder-
frieden mit Rußland und die Einigkeit des deutschen Volks gegenüber
der freilich von den wenigsten klar geschauten tödlichen Gefahr, in die
wir hineingetaumelt waren.
Ich bin in diesem Streit unterlegen; die deutsche Illusionsfähigkeit
hat wieder einmal Deutsche durch Deutsche besiegt. Durch Schwäche,
Blindheit und Parteisucht den Krieg verlieren zu sehen, war das Ende
meiner Laufbahn und meines Glaubens an mein Volk.
Ich habe gegen unsere Selbstvernichtung angekämpft, ohne die zu-
reichende Macht zu besitzen. Mit meiner eigenen Aufgabe beschäftigt,
hatte ich nie nach politischer Macht gestrebt. Im Dezember 1911, nach
der Marokkokrisis, als mein Streit mit Bethmann begann, teilte
der Kabinettchef im Augenblick, da ich beim Kaiser zum Vortrag ein-
trat, mir mit, es schwebten Erwägungen, mich zum Reichskanzler zu
machen. Ich habe darauf während des Vortrags dem Kabinettschef
einen Zettel mit der Erklärung zugeschoben, ich würde eine solche An-
regung, wenn sie an mich heranträte, ablehnen. Nachfolger Bismarcks
zu werden, erschien mir damals undenkbar. Erst nachdem ich im Krieg
mit angesehen hatte, wie Kopf- und Mutlosigkeit der Führung eine
unwiederbringliche Aussicht nach der anderen verlor und das Reich dem
Abgrund entgegenwankte, hätte ich, vorausgesetzt, daß man keine ge-
eignetere Persönlichkeit fand, bei allem Bewußtsein meiner Mängel, den
Kanzlerposten wahrscheinlich nicht mehr abgelehnt. Denn so wie un-
sere Verhältnisse der Außenwelt erschienen, wäre mit meiner Person
auch ein klarer Bruch mit dem herrschenden System zum Ausdruck ge-
kommen. Man erinnere sich umgekehrt des Jubels in England, als es
hieß: „Tirpitz exit.“ In diesem Bruch, nicht in irgendwelchem Personen-
wechsel lag unsere einzige Rettung.
Der Gedanke ist damals vielfach an mich herangetragen worden,
aber nicht von der einzigen Stelle, welche die Macht dazu hatte.