Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Meine Baupolitik 97. 
länder zwangen. Und endlich mußten die Mittel für die durch diese 
Größensteigerung der Schiffe notwendig gewordene Erweiterung des 
Nordostseekanals bewilligt werden. 
Meine Zurückhaltung gegenüber dem auf mich ausgeübten Druck, 
mehr zu fordern, wirkte außenpolitisch beruhigend und verstärkte 
das Vertrauen des Reichstags. Jene Mehrforderungen hätten 1904/5. 
nach Lage der Verhältnisse sehr wahrscheinlich eine unmittelbare 
Kriegsgefahr heraufbeschworen, uns dagegen keinen sofortigen Gewinn 
gebracht und obendrein die damalige Verdauungskraft der Marine über- 
stiegen. 
Der Zeitpunkt, an welchem wir aus mancherlei Gründen die Herab- 
setzung der Lebensdauer der Schiffe fordern mußten, war das Etats- 
jahr 1908. Nachdem sich im Sommer 1907, schon bevor wir uns im 
Reichsmarineamt über die Novelle schlüssig geworden, ein wahrer Wett- 
lauf zwischen den Parteien des Zentrums und des Freisinns für die 
Bewilligung einer Marinenovelle erhoben hatte, ging unsere Forderüng 
ohne jede Schwierigkeit über die Bahn. Zum erstenmal stimmte der Frei- 
sinn jetzt nicht nur für die Schiffe als solche, sondern auch für den 
Grundsatz der gesetzlichen Bindung. 
Diese Rovelle brachte keine Vermehrung der nach dem Flottengesetz 
verfügbaren Schiffszahl, aber eine erhebliche Verjüngung und damit 
Erhöhung der Kampfkraft. Der Schiffsersatz beschleunigte auch den 
Dreadnoughtbau, der das Vertrauen zu den älteren Schiffsklassen 
erschüttert hatte. 
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Die einzige wirkliche Krisis der deutsch-englischen Beziehungen zwi- 
schen 1904 und 1914 trat im Sommer 1911 ein infolge der Art, wie 
die politische Reichsleitung versuchte, den zwischen uns und den Fran- 
zosen schwebenden Marokkostreit zu liquidieren. Der damalige Staats- 
sekretär des Auswärtigen Amtes v. Kiderlen-Wächter, dem, wie so 
vielen deutschen Diplomaten, das Organ gerade für England abging, 
hat zwar nicht durch Nachlaufen, aber durch saloppe Geschäfts- 
behandlung Schaden gestiftet. Auf seine Anregung entsandte am 1. Juli 
1911 der Reichskanzler das Kanonenboot „Panther“ nach der marokka- 
nischen Hafenstadt Agadir und ließ die britische Regierung, welche 
nach dem Zweck fragte, mehrere Wochen lang ohne Antwort und im 
unklaren. Die Folge war, daß am 21. Juli Lloyd George eine im 
Tirpitz, Erinnerungen 7
	        
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