Full text: Auswahl für das Feld.

Teilnahmlos ließ Kaiser und Reich geschehen, daß die Ohnmacht 
einer unbeweglichen Theokratie und der anarchische Abermut der 
Patrizier und Landjunker „das neue Deutschland“ an den Polen 
verrieten. „Sehet an die Beleidigung Eurer deutschen Nation 
und die Pflanzung Eurer Voreltern“, schrieb der Meister an den 
deutschen Adel. Der aber hatte soeben seine beste Kraft vergeudet 
in dem ruchlosen Kriege wider die Städte. Zucht und Gemein- 
geist schien diesem entarteten Geschlechte ganz entschwunden, stän- 
discher Haß seine einzige Leidenschaft, blutiger Haß, wie er redet 
aus dem gräßlichen Hohnliede der Fürstlichen wider die Bürger: 
„sie sollen fürbaß Wollsäck binden! Gott wöll, daß sie mit 
ihren Kinden Land und Leut verlieren!“ Schnöde Selbstsucht 
überall: dem Landmeister von Deutschland kam nicht in den Sinn, 
seine reichen Güter zur Rettung des Kernes der Ordensomacht zu 
opfern. Der livländische Zweig des Ordens, verstimmt über die 
steigenden Anforderungen der Marienburger Brüder, ging längst 
seines eigenen Weges; er wählte jetzt seinen Landmeister allein, 
hatte vom Hochmeister ganz Estland zu ausschließlicher Beherrschung 
erhalten und kämpfte dort wie an der Düna mit den Landtagen 
seiner unbotmäßigen Vasallen. Kurz zuvor hatte der transalbin- 
gische Adel, verlockt von Dänemarks Gold und Freiheitsversprechen, 
das deutsche Erbrecht seines Fürstenhauses preisgegeben und den 
Dänenkönig zum Herzog der Lande Schleswig-Holstein gekürt. 
Und nicht lange, so traf des Ordens alten Schicksalsgenossen, die 
Hansa, ein tödlicher Schlag. Der Moskowiter zog siegend ein in 
Nowgorod, die Bürgerglocke des deutschen Freistaates verstummte, 
und als dem deutschen Narwa gegenüber das moskowitische Iwan- 
gorod sich erhob (1491), war eine neue Macht, Rußland, in die 
baltische Politik eingetreten. Ein einziger Mann im Reiche, Kur- 
fürst Friedrich II. von Brandenburg, folgte mit dem Blicke des 
Staatsmannes diesem Niedergange des deutschen Wesens im Norden 
und Osten. Der hielt die Mark mit harter Faust zusammen und 
plante, die gesamte Ostseeküste als einen Wall des Reiches seinem 
Hause zu erwerben. Durch Heiraten und Erbverträge mit Lauen- 
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