schichte, und berufen sei, „in dem angehobenen Gange aus sich
selber sich fortzuentwickeln zu einem Reiche der Vernunft“. Alle
Staaten der Geschichte erscheinen ihm jetzt als Glieder in der großen
Kette dieser Erziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit. Ist
diese Erziehung dereinst vollendet, dann wird „irgendeinmal irgend-
wo die hergebrachte Zwangsregierung einschlafen, weil sie durch-
aus nichts mehr zu tun findet“, dann wird das Christentum nicht
bloß Lehre, nein, die Verfassung des Reiches selber sein. In diesem
Reiche werden die „Wissenschaftlichen“ regieren über dem Volike,
denn „alle Wissenschaft ist tatbegründend“. So gelangt auch Fichte
zu dem platonischen Idealbilde eines Staates, welchen die Philo-
sophen beherrschen. Und wenn der nüchterne Politiker betroffen
zurückweicht vor diesem letzten Fluge des Fichteschen Geistes, so-
bleibt doch erstaunlich, wie rasch die große Zeit sich ihren Mann
erzogen hat: der Held des reinen Denkens wird durch den Zu-
sammenbruch seines Vaterlandes zu der Erkenntnis geführt, daß der
Staat die vornehmste Anstalt im Menschenleben, die Verkörperung
des Volkstums selber ist. Näher eingehend auf die Bewegung des
Augenblicks schildert er das Wesen des gewaltigen Feindes, der
unter den Ideenlosen der Klügste, der Kühnste, der Unermüdlichste,
begeistert für sich selber, nur zu besiegen ist durch die Begeisterung
für die Freiheit. So stimmt auch Fichte mit ein in die Meinung
unserer großen Staatsmänner, welche erkannten, daß die Revolution
in ihrem furchtbarsten Vertreter bekämpft werden müsse mit ihren
eigenen Waffen. Fast gewaltsam unterdrückt er den unabweislichen
Argwohn, daß nach dem Frieden alles beim alten bleibe. Nicht
ungerügt freilich läßt er es hingehen, daß man in solchem Kampfe
noch gotteslästerlich von Untertanen rede, daß die Formel „mit
Gott für König und Vaterland“ den Fürsten gleichsam des Vater-
landes beraube. Aber alle solche Makel der großen Erhebung gilt
es als schlimme alte Gewohnheiten zu übersehen; „dem Gebildeten
soll sich das Herz erheben beim Anbruche seines Vaterlandes“.
Beim Anbruche seines Vaterlandes — die aus der Ferne leiden-
schaftslos zurückblickende Gegenwart mag diese schöne Bezeichnung
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