Umlauf; ein argloser Fremder — auch dies ist ein Geständnis
der geistreichen Französin — konnte einen gewandten deutschen
Schwätzer, der nur anderer Gedanken nachsprach, leicht für ein
Genie halten. Jener unersättliche Drang nach Mitteilung, der
allen geistig produktiven Zeitaltern gemein ist, machte sich Luft
durch einen massenhaften gehaltreichen Briefwechsel. Wie einst
Hutten jede neue Offenbarung, die ihm aufging, alsbald froh—
lockend seinen humanistischen Freunden verkündigte, so scharte sich
jetzt die unsichtbare Kirche der deutschen Gebildeten zu gemein—
samer freudiger Andacht zusammen. Im Gerichtssaale hinter den
Aktenstößen verschlang der Vater Theodor Körners begierig die
Werke der weimarischen Freunde; und wie oft ist Prinz Louis
Ferdinand, als er mit seinem Regimente in Westfalen stand, nach
durchschwelgter Nacht frühmorgens nach Lemgo hinübergeritten,
um mit dem Rektor Reinert über Sophokles und Homer zu
sprechen. Jedes Gedicht war ein Ereignis, ward in ausführlichen
Briefen und Kritiken betrachtet, zergliedert, bewundert. Alle die
unvermeidlichen Unarten literarischer Epochen, Klatsch und Partei-
geist, Gefühlsschwelgerei, Paradoxie und eitler Selbstbetrug hatten
freies Spiel; doch selbst aus den Schwächen der Zeit sprach die
Lebenskraft und Lebenslust eines hochbegabten und hochsinnigen
Geschlechtes, dem die Welt der Ideen die allein wirkliche war.
Ganz unbefangen lobte Wilhelm Humboldt die göttliche Anarchie
des päpstlichen Roms, weil sie den Denker im Sinnen und Schauen
nicht störe: — was galten ihm die Römer von Fleisch und Blut
neben den Geisterstimmen, die aus den Marmorbildern des Vati-
kans redeten? Im selben Sinne beklagte Schiller die Leere seines
revolutionären Zeitalters, das den Geist aufrege, ohne ihm einen
Gegenstand — das will sagen: ein ästhetisches Bild — zu bieten.
Wer den tiefen heiligen Ernst dieses Idealismus und die Fülle
geistiger Kräfte, welche er zu seiner Durchbildung aufbrauchte, ge-
recht würdigt, der wird die politische Unfähigkeit des Zeitalters
nicht mehr rätselhaft finden. Die Kargheit der Natur setzt der
Schöpferkraft der Völker wie der einzelnen ein festes Maß, ver-
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